Winterfest

Das Faszinierende an politisch motivierter Repression ist, wie unbemerkt sie oft stattfindet. Ich glaube es ist in der allgemeinen Öffentlichkeit gänzlich unbekannt, erstens mit welcher Härte die Polizei schon immer gegen alles Linke (vermeintlich „linksextremistische“) vorgeht und zweitens, welche Ausmaße das auch im weiteren Umfeld der eigentlichen Zielpersonen annehmen kann. Der Verfolgungsdruck steigt ja ins geradezu Unermessliche, wenn kriminelle oder terroristische Vereinigung unterstellt wird. Umso verdienstvoller ist, dass die taz gelegentlich Raum gibt für eine etwas ausführlichere Berichterstattung.

Die Tage erst erschien ein recht breit angelegtes Stück über die völlig überzogenen Maßnahmen bezüglich des Budapest-Antifa-Komplexes. Obacht beim Lesen, schon der Einstieg ist recht grafisch. Bezüge werden auch zur Klimabewegung hergestellt, deren Aktive ja ebenfalls einer Kriminalisierung ausgesetzt sind, die in keinerlei Verhältnis steht zu den jeweiligen Aktionsformen.

Was besonders erschreckt, sind die angedeuteten Ermüdungs- und Resignationserscheinungen. Leipzig zum Beispiel: „Menschen, die sich vorher grüßten und guten Kontakt hatten, taten plötzlich so, als würden sie sich nicht kennen.“ Diese unter dem Druck sich verstärkende Vereinzelung ist ja das genaue Gegenteil dessen, was man sich als Reaktion wünschen würde. Aber so ist das leider, wenn schon die lose Bekanntschaft zu bestimmten Personen genügt, um dergestalt ins Visier zu geraten, dass man sich mal 4.30 Uhr morgens einer rabiaten Hausdurchsuchung gegenübersieht. Da wird Distanzierung jetzt nicht die völlig unverständlichste Vorbeugemaßnahme sein. Solidarität hat ihren Preis – und man sollte vorsichtig mit dem Urteil darüber sein, welche Gründe den gegebenenfalls zu hoch erscheinen lassen. Die Perspektive wird ja auch nicht unbedingt besser.

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Ein sehr interessantes Gespräch mit Jeanette Hofmann, Professorin für Internetpolitik an der FU Berlin, hat das Weizenbaum-Institut veröffentlicht. Ganz ohne Umschweife ordnet sie den ganzen Desinformations-Kladderadatsch als das ein was es ist: Politisches Handeln zur Mobilisierung und nicht primär ein Werkzeug zur Manipulation: „Die offen zur Schau getragene Gleichgültigkeit gegenüber dem Wahrheitsgehalt von Informationen ist […} weniger Unkenntnis als eine politische Verortung. Und die Idee des Fact-Checking oder De-Bunkings übersieht diese Qualität.“

Dessen ungeachtet wird fleißig weiter gefactcheck und entlarvt. Manchmal wird vielleicht kurz innegehalten und sich gewundert, warum das so kunstvoll mit dem journalistischen Florett erlegte Lügenmonster immer wieder aufsteht. Aber irgendwie folgt nichts aus diesem Moment der Irritation. Man möchte eben weiterhin objektiv über den Dingen stehen. Manchmal frage ich mich, ob mein früherer Berufsstand die Welt, die er zu beschreiben vorgibt, je verstanden hat. Wenn ich an all die Gesprächsrunden und Konferenzen denke, erinnere ich mich vor allem an durch keinerlei Empirie begründbare Selbstgewissheit, die mir oft als Ausdruck von Hilflosigkeit erschien. Gelegentlich war sie sogar nur eine seltsame Bockigkeit gegenüber der von den gelernten Regeln abweichenden Realität.

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Dankbar sein kann ich mal wieder Frédéric Valin für einen Hinweis. Und zwar im nd auf auf „Das Schweigen meines Vaters“ von Mauricio Rosencof, erschienen bei Assoziation A. Obwohl bei den einschlägigen Medien recht breit rezipiert, wär mir das evtl. durchgerutscht. Der Tupamaros-Veteran und Dichter Rosencof nähert sich in der fragmentarischen Erzählung vor dem Hintergrund seiner eigenen barbarischen langjährigen Haft der Geschichte seiner aus dem polnischen Shtetl stammenden Familie. Der Vater, und etwas später Mutter und Bruder, waren noch einige Jahre vorm deutschen Überfall auf Polen ausgewandert. Die meisten Verwandten wurden ermordet.

Was mir neben all den Dingen, die Valin zum Werk bemerkt, noch sehr stark aufgefallen ist: die zärtliche Humanität die das Buch durchzieht. Das mag ein wenig kitschig klingen, aber mir leuchtet da immer wieder in Bildern von Verbundenheit und Widerstand eine tief empfundene Menschlichkeit entgegen. Die wiegt umso stärker, weil sie gegen die schonungslosen Szenen aus der Vernichtungsmaschinerie steht. Keine Sorge, das Buch halluziniert keine falsche Hoffnung im Angesicht von Auschwitz. Das Leben kann nicht schön sein, wenn es an die Rampe von Birkenau gezwungen wird.

So lange aber jemand erzählt – so erzählt wie Rosencof – ist das Leben immerhin noch hier.

Packpapier

Was Seesslen in der taz zum Verschwinden der der gedruckten Zeitung schreibt, beschäftigt mich jetzt schon ein paar Tage. Ich möchte die ganze Zeit widersprechen, bin aber unschlüssig, worauf eigentlich. Entweder durchdringe ich den Text nicht so richtig oder er ist für Seesslens Verhältnisse einfach ungewöhnlich argumentiert. Üblichererweise ist das bei ihm doch immer ziemlich deutlich. Mäandernd bisweilen, ja, aber am Ende doch recht unmissverständlich durchgetaktet. Stoff zum drüber nachdenken, dran reiben. Klar und nüchtern hergeleitete Gedanken eben.

Hier aber lese ich eine ungewohnte Sentimentalität raus, die sich, wie es in ihrer Natur liegt, aus sich selbst heraus begründet und deshalb keiner weiteren Erläuterung bedarf. Oder übersehe ich was? Vielleicht fehlt mir aber auch einfach der Bezug zur Zeitung als papiernes Objekt. Ich hatte früher Abos, fand es auch ein ganz erhebend, das erste Mal so eine Zeitung mit einem Text von mir drin in der Hand zu haben. Aber, dass ich die Kulturtechnik vermissen würde, die „Rituale des Alltagslebens“, die Beobachtung „wie einer faltet, die andere hinlegt“ usw, kann ich nicht sagen.

Funny enough, ich halte die Einstellung gedruckter Zeitung ganz generell trotzdem für einen Fehler, aber nicht, weil die Nachrichten beim Übergang in ein anderes medium „ihr Wesen verändern“ (eine Charakterisierung des Prozesses die ich, nebenbei, nachvollziehen kann). Es scheint mir nur eher eine Fortsetzung des verlegerischen Missverständnisses in der Einordnung des eigenen Geschäfts. Eine Art Trotz fast. „Nee, jetzt nicht mehr gedruckt. Ätsch“. Während die Verlage nämlich den digitalen Bereich zunächst nur auf sein Marketingpotential hin abgeklopft haben und dabei über Jahre, Jahrzehnte, nichts von den journalistischen Möglichkeiten im Netz begriffen, scheinen sie nun das Marketingpotential der Printausgaben zu unterschätzen.

Selbstverständlich bringt eine gedruckte Zeitung ab einem bestimmten Punkt (Rückgang Abos, Werbung / Anstieg Druck-, Papier- und Vertriebskosten) keinen unmittelbaren Gewinn mehr. Das konnten sich selbst mäßig begabte Verleger schon vor einer ganzen Weile selber ausrechnen. In der Öffentlichkeit sichtbar zu sein, sei es an Kioskauslagen, sei es an diesen unpraktischen Zeitungshaltern in Cafés, kommuniziert aber die Marke in eine Sphäre, die sowohl von digital natives, als auch von den sentimentalen Kulturtechnikern gelegentlich betreten wird. Das spannende an so einem Marketing ist, dass die Maßnahme zur Steigerung der Wahrnehmung sich immerhin zum Teil direkt selber finanziert: durch Abos und Verkauf. Und es ist eine Form der Werbung, die mE nicht ganz so gehasst wird, wie blinkende Banner auf Webseiten oder über den unmittelbaren Werbezweck hinaus so nutzlos ist wie Plakate an Litfaßsäulen. Aber egal.

Anlass für den Seesslens Text war ja eventuell die Ankündigung der taz, im Oktober 2025 das tägliche Print einzustellen. Die Wochenendausgabe und der Onlinebetrieb sollen bleiben. Ich weiß, die Sprachregelung bei dieser „Seitenwende“ (ich hoffe, das ist selbst ausgedacht und nicht zu viel Geld für ne Agentur bei drauf gegangen) ist, dass man damit ganz vorne dran sei an der Entwicklung der Branche. Was Quatsch ist. Eine Wochenzeitung mit angeschlossenem aktuellem Onlinebetrieb ist schließlich schon ein etwas älteres Konzept. Ich glaube ich hab davon das erste Mal vor bald 30 Jahren gehört. Aber auch das ist egal.

Nicht egal ist Seesslens These, dass eine bestimmte Form ziviler und demokratischer Debatte und Öffentlichkeit an ein bestimmtes Medium, die papierne Zeitung, gebunden ist. „Behauptung“ sage ich deshalb, weil die Hauptaussage „Die Zeitungen sterben, der Demokratie geht es auch nicht besonders. Vielleicht hat das eine doch etwas mit dem anderen zu tun.“ eine Koinzidenz vielleicht ganz richtig beobachtet. Die Kausalität aber wird mir nicht hinreichend begründet. Und ich glaube, das ist es auch was mich stört. Dass das, was der Ausgangspunkt einer Überlegung sein könnte, zumindest bei diesem Text ihr Abschluss ist. Vielleicht will ich ja gar nicht widersprechen, sondern würde nur gerne mehr erfahren.

„Cli-fi is a genre“

Meinetwegen hätte Cory Doctorow in seiner Buchempfehlung für „After World“ von Debbie Urbanski ruhig erwähnen dürfen, wie depressiv das Buch ist. Obwohl, „relentlessly bleak“ ist bei Tageslicht betrachtet dann doch deutlich genug. Vielleicht hatte ich das überlesen. Hat dann jedenfalls nicht lange gedauert, bis ich selber drauf gekommen bin. Depressiv.

Ich weiß gar nicht so recht, wovon das Buch handelt, wenn nicht vom Gefühl der inneren Katastrophe, die mit gnadenloser Härte in Form wie Inhalt des Textes angereicht wird. Repitition, Isolierung, Unverständnis, unendlicher Schmerz, der Untergang des Ich. Der Untergang der Welt ist dabei die einzig mögliche Kulisse, aber letztlich eben nicht nur das.

Die Grausamkeit des Menschen gegen alles und sich selbst wird als Kammerstück aufgeführt. Die Erzählperspektive des [storyworker] ad39-393a-7fbc demonstriert dabei beinahe mehr Humanismus als die Menschen selber. Diese Software muss sich vom übergeordneten Prozess emly denn auch fragen lassen: „Why would you want to think like a human being?“. Diese Frage ist wiederum selber eine Antwort. „…is it possible to tell a human story without human suffering, is it possible to tell a human story without the suffering of the world“

Gewiss, „After World“ ist auch Cli-fi. Der Weltuntergang per Klimakatastrophe ist eine ausgemachte Sache, die Apokalypse aber kommt in Form eines Virus über die Menschheit. Ist die Vernichtung Erlösung? Für wen? In gewisser Weise stemmt sich das ganze Buch gegen diese doppelte Zerstörung, einmal der natürlichen Umwelt und einmal der Menschheit selber. Dass kein plausibler Ausweg angeboten wird, ist einzusehen und wohl dem Genre eigen.

Die Beschreibung der inneren Katastrophe ist anscheinend der bislang beste Weg, den kommenden Untergang als die unausweichliche Auslöschung jeder Menschlichkeit zu erzählen und nicht als unterhaltsames Spektakel. Denn dafür haben wir ja schließlich die Tagesschau.

Bild oben: Ein Mural, gesehen im Sommer in einer Unterführung in Jelenia Góra

Welche Ordnung?

Die Textproduktion kennt kein Ende. Grad in Kriegszeiten wird ständig geschrieben. Dafür, dagegen, darüber. Alles in größter Eile, gerne auch in Liveblogs und Tickern, dieser Pestbeulen des Nachrichtenjournalismus, wo regelmäßig Neuigkeiten präsentiert werden müssen, um das Publikum bei der Stange zu halten. Es lohnt sich, nicht nur zum Wohle der eigenen psychischen Gesundheit, sondern auch fürs Erkenntnisinteresse, durchzuatmen und einen Schritt zurückzutreten. Texte lassen sich dann finden, deren Thesen, Beobachtungen und Prognosen mitten im Krieg auch nach ein-zwei Tagen oder gar Wochen und Monaten noch Bestand haben, mindestens interessant, vielleicht sogar dramatisch augenöffnend und nicht einfach nur Buchstabenmüll sind.

Zunächst interessieren mich vor allem, im weitesten Sinne, linke Sichtweisen und Erklärungsansätze. Versuche, sich nicht zu verheddern in den verschiedenen Erzählsträngen der allseits eingesetzten Propaganda. Volodymyr Artiukh, ukrainischer Anthropologe, hilft beim Entwirren in einem Beitrag, der unter anderem bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht wurde. In Richtung der westlichen Linken weist er auf die analytische Schwäche des auf die Nato als einzig agierender Instanz gerichteten Blicks hin. „Daher frappiert mich die verkürzte Weise, in der ihr das dramatische Geschehen in unserem Erdteil öffentlich darstellt, das ihr lediglich als Antwort auf die Umtriebe eurer eigenen Regierungen und Wirtschaftseliten begreift. […] Um Russland herum erwächst eine Realität, die ihren eigenen Gesetzen folgt, eine zerstörerische Realität brutaler Unterdrückung, in der ein Atomkrieg nicht länger außerhalb des Denkbaren liegt.“

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Ein Text von Nelli Tügel befasst sich in der ak mit der nervig-naiven Fixierung einiger Linker auf Völkerrecht und Diplomatie als Allheilmittel (Auge, Gysi). In einem instruktiven Abriss historischer Entwicklungslinien seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird hier Rosa Luxemburg als Kronzeugin für eine politische Analyse und Handlungsfähigkeit jenseits imperialistisch geprägter Gepflogenheiten und Verträge ins Feld geführt. Find ich alles sehr informativ und unbedingt bedenkenswert.

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Was mir ansonsten oft fehlt, sind irgendwie plausible Einschätzungen, was überhaupt das strategische Interesse Putins/Russlands sein könnte. Die meisten Erkläransätze (wenn man sich die Mühe überhaupt macht) lassen sich salopp als „Der Typ ist durchgeknallt“ übersetzen. Das mag letztlich ja sogar stimmen, nur können wir uns dann jede weitere Diskussion sparen und besser eiligst schauen, ob wir nicht doch noch rechtzeitig die alten Atomschutzbunker reaktiviert kriegen.

Es will mir nicht in den Kopf, dass das Handeln einer Person, die sich so lange in so einer Position hält, und des sie tragenden Umfeldes nicht doch einer gewissen Rationalität folgt. Die sollen keine klare Vorstellung einer „win-Situation“ haben und zu Pragmatismus unfähig sein? Zwei Stücke, die sich der Frage aus entgegengesetzten Richtungen annähern und auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, sind bei der WOZ und The New Statesman zu lesen.

Während die russische Dichterin Maria Stepanova mit großer Empathie von der bedrohten, sich selbst behaupten müssenden Seite her spricht, denkt der portugiesische Politiker Bruno Maçães bereits im November letzten Jahres vom Zentrum der Macht her. Stepanova ist der Überzeugung, dass Putins strategisches Ziel die konkrete Unterwerfung der Peripherie unter seine heilsbringende Ordnung ist. Maçães hingegen kommt zu dem Ergebnis, dass Chaos das Ziel der ganzen Operation ist. Chaos zum Zwecke der Stabilisierung der eigenen Macht.

Auf der einen Seite also ein moralischer Kampf „Gut gegen Böse“ der auf ein definitives Finale zuläuft, auf der anderen ein pragmatischer zwischen „Chaos und Ordnung“, der quasi ununterbrochen fortgesetzt werden muss. Ich fände es gut, wenn es mehr Diskussionsbeiträge gäbe, die ebenso informiert und empathisch genau dieses Spannungsfeld beleuchten. Die aus solchen Gesprächen entstehenden Prognosen und Handlungsvorschläge ließen sich jedenfalls ernster nehmen, als diese ganzen Schnellschüsse der hyperventilierenden Liveticker-Westentaschenstrategen.

Nachrichten aus der DRM-Hölle und anderen Abgründen

In der Kurzgeschichte „Unauthorized Bread“ (erschienen 2019 im Band „Radicalized“) beschreibt Cory Doctorow das Elend von Digital Rights Management (DRM) anhand eines Toasters, der nur Brot eines bestimmten Herstellers toastet. Seine Protagonistin hackt das Ding aus unmittelbarer Notwendigkeit und wird so zur Kriminellen. So weit hergeholt ist das nicht, Doctorow weiß natürlich wovon er spricht. „The war on general computing“ ist sein Leib- und Magenthema.

Und in der Realität wird praktische jede seiner Analysen immer wieder bestätigt, und das auf Wegen, die sich der Schriftsteller im Prediger und Aktivisten kaum besser hätte ausdenken können. So hat Doctorow grad die Gelegenheit, sich bei der Electronic Frontier Foundation über den nächsten Gipfel der DRM-Unverschämtheit auszulassen. Nach der ohnehin schon reichlich frechen aber inzwischen achselzuckend als Normalität akzeptierten Herstellerbindung bei Druckertinte versucht ein Produzent von Labeldruckern nun die Benutzung von Papier aus nicht autorisierten (oft deutlich preisgünstigeren) Quellen zu unterbinden. Kann also nicht mehr lange dauern mit den Toastern.

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Proprietäre Systeme können dabei noch viel existenziellere Probleme verursachen. Ebenfalls wie aus einer dystopischen Doctorow-Geschichte kommt ein Bericht bei IEEE Spectrum daher (deutschsprachige Zusammenfassung bei futurezone.at). Ein künstliches Auge hört auf zu funktionieren, weil die Herstellerfirma pleite gegangen ist und es keinen Support und keine Updates mehr gibt. „Hört auf zu funktionieren“ bedeutet tatsächlich, dass die Menschen, die für ihr Augenlicht auf das Implantat angewiesen sind, erneut erblinden. Was der Markt halt so regelt.

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Außerdem interessant: Ein bisschen nerdiges Stück bei Mozilla im Blog über die Frage, warum Links standardgemäß blau daherkommen. Die Screenshots in dem Beitrag haben tatsächlich was nostalgisches für mich. Vermisse ein wenig die Neugier und das Erstaunen die ich in den frühen 90ern mit Computern verband. Achja, Spoiler: Die Frage, „Warum ausgerechnet blau?“ kann bislang nicht abschließend geklärt werden.

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Apropos nerdig, ein Tweet, der mE. recht treffend die unfassbare Repression gegen sexuelle Minderheiten in Texas kommentierte, brachte mich auf den Youtubekanal des Autors. Dort dann mit allergrößter Begeisterung dessen fast 22-minütige Eloge auf einen Dosenöffner und die Lehren fürs Leben, die sich aus dem Gerät und Kontext ziehen ließen, geschaut. Das ist ist nicht für alle Stimmungslagen geeignet, aber wenn man sich drauf einlassen kann, ist es wirklich wundervoll.

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Disclaimer: Selbstverständlich lese ich auch das eine oder andere zum Krieg in der Ukraine. Das jedoch auch nur für mich zu ordnen und vielleicht noch Empfehlungen auszusprechen – soweit bin ich nicht. Und ehrlich gesagt gehen mir die ganzen Bescheidwisser mit ihren geopolitischen think pieces, deren Thesen teilweise schon am Erscheinungstag an den Realitäten zerschellen, mächtig auf die Nerven. Am ehesten kann ich im Moment was anfangen mit Berichten von mir vertrauten Journalist*innen über zB. NGOs, die vor Ort der Zivilbevölkerung zu helfen suchen*. Denn, dass die als erste und am stärksten leidet, ist wohl das einzige was sicher ist.

*(wie zB dieses von Dinah Riese für die taz geführte Interview mit einer Organisation namens Libereco)

Privatstädte, Füh- und Passmann (Bonus Kürbisgulasch)

Dieser Tage nachholend so einiges gelesen. Bitteschön:

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In der Frankfurter Rundschau findet sich eine interessante Recherche von Andreas Kemper zu den Bestrebungen, „Private Städte“, also urbane Räume jenseits demokratisch Übersicht/staatlicher Kontrolle zu schaffen. Kemper geht es dabei vor allem um eine Degussa-Connection und deren Bestrebungen in „politisch vergleichsweise schwachen Staaten“ mit viel Geld entsprechende Gated Communites der besonderen Art einzurichten. Die Rede in diesem Falle ist von Honduras sowie São Tomé und Príncipe.

Das erinnert an ähnliche Pläne ein wenig weiter nördlich. Im Bundesstaat Nevada könnte es demnächst möglich sein, mit genug Geld und Grundbesitz quasi exterritoriale Städte zu bauen, schön mit eigenen Gesetzen und Steuern. Wenn man‘s genau bedenkt ist das eine nur logische Entwicklung. Sich immer wieder aufs neue Politiker*innen kaufen zu müssen, um ein gewisses Maß an Kontrolle über die Stadtentwicklung in bestehenden Metropolen zu haben, ist schließlich ein ziemlich langwieriges Glücksspiel. Die Eigentumsverhältnisse von Anfang klar zu haben, ist da irgendwie ehrlicher.

Ich frag mich nur die ganze Zeit, wo dann eigentlich die Dienstboten der Luxusretreats wohnen werden. Wahrscheinlich in Trailer-Slums vor den Stadttoren. Vielleicht weiß Andreas Kemper ja mehr darüber, immerhin hat er ein Buch zur Sache geschrieben das im März bei Unrast erscheint. Ich bin jedenfalls gespannt.

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Gunnar Decker noch mit einem im Freitag nachgereichten Stück zu Fühmann. Decker geht auf die Hermetik FFs ein, seine Unverkäuflichkeit im goldnen Westen, die Suche nach dem „Eigentlichen“ in der Literatur. Tatsächlich fand ich den bis ins Extreme sich steigernde Kunstbegriff und Anspruch Fühmanns nicht durchweg richtig oder gar einladend. Andererseits muss der Antrieb, immer weiter zu forschen und zu schaffen ja von etwas herkommen, und woher soll ich amplitudenarmer Schlumpf das schon wissen.

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Bei Zeit Online hat Sophie Passmann Tocotronic gewürdigt. Wenn auch weniger die Band, als das ganze Phänomen rundherum. Als entschiedener Nicht-Fan war ich trotzdem sehr angesprochen von dieser humor- wie liebevollen und klug beobachteten Erläuterung. Zum Text meinte K., dass der schon sehr „passmannisch“ sei. Versäumt zu fragen, ob das jetzt was schlechtes ist. Tja.

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Gekocht hab ich auch die Tage, einer Empfehlung aus einem Newsletter folgend. Robin Detjes erbauliche Serie „Lasst uns gemeinsam einen besseren Weltuntergang bauen!“ endete im 5. Teil, versandt am vergangenen Montag, mit dem Link auf ein Kürbisgulaschrezept. Da alle Zutaten* hier vorhanden waren und es eine fixe Angelegenheit ist, gleich mal gekocht. Ich würde beim nächsten Mal gewiss etwas großzügiger salzen gleich am Anfang und die Menge Linsen um vielleicht ein Drittel reduzieren, aber geschmeckt hat‘s ansonsten prima.

*(naja, fast alle, statt Rotweinessig Balsamico genommen und statt Gemüsesuppe Kalbsfond und weil der Majoran hier jahrelang stiefmütterlich vor sich hindiffundierte, lieber noch etwas Rosmarin nachgelegt)

Kunstmarkt, Eigenverantwortung und das Ende des Schiffbaus

Drei Texte, gelesen in den letzten Tagen, einmal Erläuterungen zum sich wandelnden Kunsthandel, ein schöner Rant über die Individualisierung der Pandemiehölle und ein guter Überblick zur Deindustrialisierung in den osteuropäischen Transformationsgesellschaften.

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Ingo Arend in der Süddeutschen Zeitung mit einem instruktiven Überblick über den Kunstmarkt (nicht im übertragenen, sondern genau im ökonomischen Sinne) und dessen pandemiebedingt beschleunigten Wandel hin zu einer digitalen, plattformbasierten, reichlich intransparenten Angelegenheit. Bei der setzen sich wenige big players gegen die kleinen Galerien, aber auch gegen traditionsreiche, aber unbeweglichere und letztlich auch kapitalschwächere Messen durch. Klingt irgendwie bekannt, oder? Eine vergleichende Untersuchung zu den Transformationsprozessen anderer Branchen mit denen „in der elegantesten Spielhölle des Kapitalismus“ würde ich, zB von Arend, auch als Buch lesen.

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Apropos Buch, „Die schlechteste Hausfrau der Welt“ habe ich immer noch nicht gelesen, was unter anderem daran liegt, dass ich das Werk noch nicht mal gekauft hab. Das wird aber noch, versprochen. Jedenfalls hat Jacinta Nandi in der ak den Blick auf Versagen und Vorwurf als mögliche Ausdrucksformen des deutschen Nationalcharakters geworfen, in der Pandemie zumal. Ich fühle mich abgeholt von dem Text, vielleicht auch ein bisschen erwischt, auf jeden Fall aber gut unterhalten. Und das ist mir wichtig, auch in den Flugschriften des Klassenkampfes. Denn wenn ich nicht lachen kann, ist es nicht meine Revolution. Basta.

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„Von Anerkennung und Respekt kann man bekanntlich keinen Lebensunterhalt bestreiten.“ – Schön gesagt, und zwar in einem Stück zum Ende der Werften in Mecklenburg-Vorpommern von Philipp Ther bei Zeit Online. Der Historiker schlägt einen weiten Bogen, der die kulturelle, wirtschaftliche und politische Bedeutung des Schiffbaus im Ostblock ganz interessant zusammenfasst. Auf so engem Raum einen solchen Überblick anzubieten, das muss man erstmal hinbekommen.

Für mich waren die entsprechenden aktuellen Nachrichten ein wenig déjà-vu. Anfang der Neunziger war die Deindustrialisierung des Ostens schließlich das lebensbestimmende Thema, wenn man da aufwuchs, nicht wahr. Die Symbolkraft der Werften (und des industriell betriebenen Fischfangs) lässt sich gar nicht überschätzen für den Nordosten. Gingen mit der wirtschaftlichen Einebnung der Kerne, ihrer Zulieferer und Weiterverarbeiter ja nicht nur ganz materiell Arbeitsplätze, also Einkommensoptionen für unglaublich viele Menschen verloren, sondern auch deren Lebensperspektive neben der Maloche. Auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, macht eben ganz schnell nicht nur ökonomisch arm.

Es ist drei Jahrzehnte später vielleicht schwer vorstellbar, wie unfassbar trostlos das alles war damals. Selbst der Protest von Belegschaften, mit ihren Betriebsbesetzungen und allem, war am Ende dann doch immer nur vorhersehbar aussichtslose Folklore. Das kommt in so nem Text wie dem von Ther ein bisschen knapp und unterkühlt rüber (was ich jetzt überhaupt nicht als Vorwurf meine, nebenbei).