Hereinspaziert [mit Update]

Die Beschleunigung ist bemerkenswert. Ohne Rücksicht. Von 30 auf 50, auf 100, auf Orkan. Ja, wer aufbauen will, muss mobilisieren, verhandeln, Kompromisse eingehen. Jeder Schritt vorwärts bremst gleichzeitig die Bewegung aus. Dem Zerstörungwerk aber ist eigen, dass es keiner großen Verabredung bedarf. Es muss nicht jeder Funke zünden. Es genügt, wenn alle ein bisschen kokeln. Muss gar nicht doll sein, Hauptsache am Ende brennts schön. (Glut und Gut und Glut und Glut und Glut…)

Besonders frustrierend ist das völlige Versagen von solch hochdotierten Kulturmanager*innen: „Als Festival wollen wir uns nicht positionieren, wir möchten für Austausch, Kommunikation, Dialog da sein.“, antwortet die Chefin der Berlinale auf die Kritik an der Einladung von Rechtsextremen. Und schämt sich dabei nicht genug, um wenigstens diesen Unfall einer Stellungnahme aus einem auch ansonsten bizarr selbstmitleidigen Interview nicht freizugeben. Ihre Chefin, die Kulturstaatsministerin deckt ihr den Rücken für diese Shitshow. Es gibt anscheinend keine Institution liberaler Bürgerlichkeit, die dem kommenden Faschismus mehr entgegensetzen möchte als ein bedauerndes Lächeln vorm weit aufgesperrten Scheunentor. Na denn: Hereinspaziert!

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Im Zuge des Traktor-Defilees der westelbischen Junker (c) @kubia) kam hie und da der Hinweis auf Fallada. Tatsächlich ein guter Anlass, „Bauern, Bonzen und Bomben“ zu lesen. Ein ganz wunderbares Buch. Mitreißende Charaktere, die fast filmischen Szenenaufbauten, die lebendigen Dialoge, die klugen Beobachtungen und schlüssigen Konstruktionen der Ränkespiele. Ich war hingerissen.

Tucholsky bemerkte in seiner Besprechung 1931 ganz treffend, dass die Bauern etwas zu kurz kommen in dem Buch und es sich eher um einen Kleinstadtroman handele. Mit dem Blick dieser Kleinstadt und seiner Elite aber wird der Konflikt vor allem in der Rückschau von bald hundert Jahren bedrohlicher, als er damals vielleicht schon scheinen wollte.

Henning erklärte eifrig: „Ich habe mir alles überlegt. Das Fahnentuch ist schwarz. Das ist das Zeichen unserer Trauer über diese Judenrepublik. Drin ist ein weißer Pflug: Symbol unserer friedlichen Arbeit. Aber, daß wir auch wehrhaft sein können: ein rotes Schwert. Alles zusammen die alten Farben: Schwarzweißrot.“

„Bauern, Bonzen und Bomben“, Hans Fallada

Immerhin sind die Figuren so lebendig, dass es kaum anders geht, als sich vorzustellen, wo sie wohl vier-fünf Jahre nach der beschriebenen Handlung sein würden. Da hat der zum Schriftsteller gewandelte Journalist Fallada vielleicht mehr gesehen, als ihm selbst bewusst war. Der klügere Tucholsky schwankte denn auch im Urteil zwischen Kritik und Bewunderung: „…es ist so unheimlich echt, dass es einem graut.“

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Gewiss, Geschichte wiederholt sich nicht. Das aber zunächst auch nur deshalb, weil sich die immer selben Fehler eben nicht zur exakt gleichen Summe aufaddieren, auch wenn sie immer aufs neue begangen werden. Und gnadenlos neu aufgeführt wird der immer selbe Zirkus auf jeden Fall. Sozialdemokratische Innenminister*innen werden in diesem Universum einfach nichts mehr dazu lernen, ganz zu schweigen von einer Kulturbürokratie, die ohne eigene Position irgendwelchen Austausch zu führen wünscht.

Die entscheidende Frage ist deshalb, wie viele andere mit dem Informationsvorsprung gegenüber Fallada und Tucholsky etwas anfangen können und den ganzen Fehlern angemessene Korrekturen entgegenstellen werden. Und wieviel Zeit für Mobilisierung, Verhandlung und Kompromiss im beschleunigt sich verengenden Möglichkeitsraum noch verbleibt.

[Update, 8. Feburar 2024: Die Berlinale hat die AfD-Leute wieder ausgeladen. Dass es den Mitarbeiter*innen des Festivals gelungen ist, ihre Chefs doch noch zum Jagen zu tragen, ist ein sehr großer und gar nicht selbstverständlicher Erfolg und ein gelungenes Beispiel dafür, mit welcher Kraft und Geduld an allen Ecken und Enden interveniert werden muss.]

Bild oben: Die Stiefel sind Zeichen der Bauernproteste. Zu finden dieser Tage an vielen Ortsschildern im Havelland. An einigen fanden sich auch stilisierte rote Schwerter aufgemalt oder geklebt. Wie auf dem Banner der u.a. in Falladas Buch beschriebenen Landvolkbewegung.

Was fehlt

Ach, ich wollte mich so aufregen. Über einen früheren Arbeitgeber. Die Gründe sind gut genug, der Anlass aber nicht. Denn drauf gekommen bin ich, weil ich dreimal in ebenso vielen Wochen nah dran war (mehr als in den letzten drei Jahren zusammengenommen). Zwei Abschiedsfeiern dort, eine Reunion dazu.

Denn was soll das. Ich vermisse Menschen von da und habe mich gefreut, sie wiederzusehen. Was kümmert es mich also Jahre nach meinem Weggang, dass der Laden so ein Scheiß ist? Tja, eben.

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Der verdiente Zitatgeber des Volkes, Frédéric Valin, schrieb mal irgendwo, dass es ihm gut tue, die Publikationen für die er schreibe nicht mehr zu lesen.

Viel besser lässt sich die Irrelevanz diverser linker oder pseudolinker Organe nicht zusammenfassen. So eine Art professional Facebook: Man schreibt was rein, bekommt immerhin 12,50 Euro dafür, liest den andern Kram aber besser nicht, sind eh alles Idioten.

Warum also überhaupt noch publizieren? Die Faschisten werden nicht mit der spitzen Feder aufgehalten. Außerdem ist die Zeit zu kurz, mit den andern 12,50-Nichtsnutzen darüber zu diskutieren, ab wie viel Punkten auf der Adolfskala man sich auch handgreiflich wehren darf. Aber irgendjemand muss natürlich die „Art und Weise“ anprangern, in der Widerständigkeit sich findet. Lina soll also Nazis weh getan haben. Hmm, ich bin sehr entschieden gegen Gewalt und genau deshalb hat diese mir ansonsten gänzlich unbekannte junge Frau meine Solidarität.

[jetzt bloß nicht schwach werden, keinen Unsinn verlinken]

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Das ist das Internet, das angeblich nichts vergisst. Ich finde die besten Texte nicht mehr. Nicht von Freund*innen, nicht von Bekannten, nicht von verschämt Verehrten. Nicht den über die Emos von M. (der sich verpisst hat), nicht das Stück übers sich selber Wegschreiben von B. (den ich fragen kann, ob ers noch irgendwo hat).

Ich hatte keine so rechte Vorstellung, was das alles soll mit diesem Netz, aber ich mochte das, wollte Teil davon sein. Das war anstrengend.

Es geht mir viel besser heute, weil ich weiß was fehlt. Die Suche wird deshalb nicht leichter.

Im Wald

Nun ist es schon deutlich länger als ein Jahr her, dass ich meine bislang letzte Zigarette geraucht hab. Der positive Impact auf meine Gesundheit durch den Umstand, dass ich ungefähr genauso lange keiner Lohnarbeit mehr nachgehe, scheint mir aber deutlich höher zu sein, als die Nikotin- und Teerentwöhnung. Nun ist es gewiss keine neue Erkenntnis, dass Arbeit (zumindest unter gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen) krank machen kann. Etwas zu wissen und es selber zu spüren bekommen sind jedoch zwei gänzlich unterschiedliche Angelegenheiten. Das kann eins dann schon ziemlich ratlos zurücklassen.

So viel kann ich aber mit Sicherheit sagen: Im Wald ist es schöner als am Schreibtisch. Und ich meine das gar nicht auf so eine romantisierend-zivilisationsfeindliche Art. Ich mag meinen Schreibtisch durchaus. Es ist aber zweifellos angenehmer, ohne Zeitdruck, ohne Fremdbestimmung auf der Suche nach Pilzen durchs Unterholz zu kriechen. Angenehmer jedenfalls, als beispielsweise ein penetrant klingelndes Telefon oder dieses hässliche Geräusch, mit dem sich neuer Emaileingang die Ehre gibt.

Fliegenpilz auf einer Wiese

In den letzten Tagen gab es so eine Bewegung hin zum Fediverse, oder um genau zu sein, fast ausschließlich zu Mastodon. Auslöser ist der Twitterkauf von Musk. Es wird eigenartigerweise richtig gestritten über die Migration hin zum dezentralen, selbstverwalteten Raum. Vielleicht verständlicherweise. Twitter ist für viele schließlich professionelles Netzwerktool. Da möchte man keine Störungen oder Abwanderungsbewegungen haben, die jene mühevoll aufgebauten Followerstrukturen zerbröseln lassen.

Mir ist das scheißegal, merke ich. Als vorgestern auch noch Instagram abkackte und mich nicht mehr einloggen ließ, fühlte ich kurz so etwas wie Glückseligkeit. Kein Nudging mehr, keine Likechecks und der ganze Kram. Da muss man gar nicht moralisch in die eine oder andere Richtung argumentieren (man kann natürlich, aber auch dann spricht wirklich alles gegen Twitter und für Mastodon).

Frédéric Valin merkte in einem, haha, Facebook-Post an, dass er sich bei Mastodon wohl fühle. Das ist doch zunächst das einzige valide Argument, überhaupt irgendwo rumzuhängen. Im Wald, am Schreibtisch, in der Kneipe, im Netz. Der Rest ist Zwang, oder zumindest nicht immer angenehme Notwendigkeit: Lohnarbeit, Reproduktionsarbeit, Faschismus bekämpfen. Was man halt so machen muss.

Pilz auf einer Wiese, im Hintergrund herbstbunte Bäume

Beschränkter Zugriff

Der Abstand zum Herkunftsort vergrößert sich von Jahr zu Jahr. Keine Ahnung wie lange es schon wieder her ist, dass ich das letzte Mal in Rostock war. Nun musste ich aber. Ein bisschen Recherche eben. Nicht großartig investigativ oder so, mehr Atmosphäre mitnehmen, Inspiration für ein Stück über Erinnerung finden (erschienen am 22.8. in der taz).

Auffällig war, wie wenig mich das alles berührt. Es ist mir ziemlich präsent, wie angespannt das noch vor 10 Jahren war, den alten Schulweg zu gehen, die Ecken zu sehen, wo ich meine unangenehmen Begegnungen mit den Faschos hatte. Und jetzt ist das recht gelassen, sogar das S-Bahn-Fahren. Auch wenn die Vergangenheit noch lange nicht vergangen ist, so hat sie doch keinen unbeschränkten Zugriff mehr auf mich. Das ist OK.

Blick auf ein Hochhaus, im Vordergrund eine gut einen Meter hohe weiße Stele, die beschmiert ist
Sonnenblumenhaus, Lichtenhagen, August 2022

Statt dessen verhaltenes Interesse („Ach, so sieht das jetzt hier aus“). Hinreichend Distanz ist das, um die Seltsamkeit der Veränderungen zu würdigen. Wie Straßen gänzlich anders verlaufen oder gleich komplett verschwunden sind. Das Gestrüpp zwischen Groß Klein und Schmarl, wo früher Wildschweine verkehrten, ist jetzt dieses ordentliche IGA-Gelände. „Jetzt“. Seit Ewigkeiten ist das da schon, aber noch länger war ich halt nicht hier gewesen. Immerhin, das Traditionsschiff liegt an seinem Platz.

Ich war mir nicht mehr sicher, in welcher Hausnummer wir in der Eutiner Straße nach dem Umzug nach Lichtenhagen gewohnt haben. Die Telefonzelle vor der Tür ist weg. Weg ist auch die Schule, die ich gut acht Jahre besucht habe. Ein Sportplatz ist da an ihrer Stelle.

Blick auf einen Sportplatz im Hintergrund Plattenbauten
Schulen zu Sportplätzen

An meiner Lieblingsstrandstelle aus Kindheit und Jugend ist der Sonnenuntergang weiterhin postkartentauglich. Premiumcontent für eine Premiumgeneration.

Sonnenuntergang am Meer

Notiert, vor Langeweile bebend

Schreib, Junge, schreib. Messehallen voller Bücher, geschrieben von deinesgleichen. Alle erklären deine Herkunft, deine Zeit, deine Welt.

Statue einer weiblichen Figut, die sich in pathetischer Geste an den Kopf fasst
Ein Königreich für ein Aspirin

Die statistische Lebensmitte überschritten hast du schon ein Weilchen. Deine Generation ist am Drücker. Deine Generation ist wichtig. Vorbei die zwanzig ungehörten Jahre, in denen nur eine Handvoll Wunderkinder früh herausragten. Zwanzig Jahre, in denen die Alten, denen die Welt unterm Arsch weggerutscht war, sich noch fragend umsahen und dabei nichts mehr verstanden. Am wenigsten sich selber. Und uns überhaupt nicht.

Jetzt aber drücken wir alle andren weg. Die Eltern können sich kaum noch wehren. Mit letzter Tinte notieren sie den letzten Blödsinn. Wir lachen drüber, in verschworener Einigkeit mit den Jüngeren, die schon begierig auf das arrivierte Prekariat schauen. Auf uns. Na, Momentchen mal. WIR wischen jetzt mit Pizzabrot die uns hinterlassenen Töpfe aus. Später seid ihr dran. Geduld ist eine Tugend.

Schreib, Junge, schreib. Sonst fährt der Diskurszug ohne dich nach Shangrila.