Beschränkter Zugriff

Der Abstand zum Herkunftsort vergrößert sich von Jahr zu Jahr. Keine Ahnung wie lange es schon wieder her ist, dass ich das letzte Mal in Rostock war. Nun musste ich aber. Ein bisschen Recherche eben. Nicht großartig investigativ oder so, mehr Atmosphäre mitnehmen, Inspiration für ein Stück über Erinnerung finden (erschienen am 22.8. in der taz).

Auffällig war, wie wenig mich das alles berührt. Es ist mir ziemlich präsent, wie angespannt das noch vor 10 Jahren war, den alten Schulweg zu gehen, die Ecken zu sehen, wo ich meine unangenehmen Begegnungen mit den Faschos hatte. Und jetzt ist das recht gelassen, sogar das S-Bahn-Fahren. Auch wenn die Vergangenheit noch lange nicht vergangen ist, so hat sie doch keinen unbeschränkten Zugriff mehr auf mich. Das ist OK.

Blick auf ein Hochhaus, im Vordergrund eine gut einen Meter hohe weiße Stele, die beschmiert ist
Sonnenblumenhaus, Lichtenhagen, August 2022

Statt dessen verhaltenes Interesse („Ach, so sieht das jetzt hier aus“). Hinreichend Distanz ist das, um die Seltsamkeit der Veränderungen zu würdigen. Wie Straßen gänzlich anders verlaufen oder gleich komplett verschwunden sind. Das Gestrüpp zwischen Groß Klein und Schmarl, wo früher Wildschweine verkehrten, ist jetzt dieses ordentliche IGA-Gelände. „Jetzt“. Seit Ewigkeiten ist das da schon, aber noch länger war ich halt nicht hier gewesen. Immerhin, das Traditionsschiff liegt an seinem Platz.

Ich war mir nicht mehr sicher, in welcher Hausnummer wir in der Eutiner Straße nach dem Umzug nach Lichtenhagen gewohnt haben. Die Telefonzelle vor der Tür ist weg. Weg ist auch die Schule, die ich gut acht Jahre besucht habe. Ein Sportplatz ist da an ihrer Stelle.

Blick auf einen Sportplatz im Hintergrund Plattenbauten
Schulen zu Sportplätzen

An meiner Lieblingsstrandstelle aus Kindheit und Jugend ist der Sonnenuntergang weiterhin postkartentauglich. Premiumcontent für eine Premiumgeneration.

Sonnenuntergang am Meer

Notiert, vor Langeweile bebend

Schreib, Junge, schreib. Messehallen voller Bücher, geschrieben von deinesgleichen. Alle erklären deine Herkunft, deine Zeit, deine Welt.

Statue einer weiblichen Figut, die sich in pathetischer Geste an den Kopf fasst
Ein Königreich für ein Aspirin

Die statistische Lebensmitte überschritten hast du schon ein Weilchen. Deine Generation ist am Drücker. Deine Generation ist wichtig. Vorbei die zwanzig ungehörten Jahre, in denen nur eine Handvoll Wunderkinder früh herausragten. Zwanzig Jahre, in denen die Alten, denen die Welt unterm Arsch weggerutscht war, sich noch fragend umsahen und dabei nichts mehr verstanden. Am wenigsten sich selber. Und uns überhaupt nicht.

Jetzt aber drücken wir alle andren weg. Die Eltern können sich kaum noch wehren. Mit letzter Tinte notieren sie den letzten Blödsinn. Wir lachen drüber, in verschworener Einigkeit mit den Jüngeren, die schon begierig auf das arrivierte Prekariat schauen. Auf uns. Na, Momentchen mal. WIR wischen jetzt mit Pizzabrot die uns hinterlassenen Töpfe aus. Später seid ihr dran. Geduld ist eine Tugend.

Schreib, Junge, schreib. Sonst fährt der Diskurszug ohne dich nach Shangrila.