Winterfest

Das Faszinierende an politisch motivierter Repression ist, wie unbemerkt sie oft stattfindet. Ich glaube es ist in der allgemeinen Öffentlichkeit gänzlich unbekannt, erstens mit welcher Härte die Polizei schon immer gegen alles Linke (vermeintlich „linksextremistische“) vorgeht und zweitens, welche Ausmaße das auch im weiteren Umfeld der eigentlichen Zielpersonen annehmen kann. Der Verfolgungsdruck steigt ja ins geradezu Unermessliche, wenn kriminelle oder terroristische Vereinigung unterstellt wird. Umso verdienstvoller ist, dass die taz gelegentlich Raum gibt für eine etwas ausführlichere Berichterstattung.

Die Tage erst erschien ein recht breit angelegtes Stück über die völlig überzogenen Maßnahmen bezüglich des Budapest-Antifa-Komplexes. Obacht beim Lesen, schon der Einstieg ist recht grafisch. Bezüge werden auch zur Klimabewegung hergestellt, deren Aktive ja ebenfalls einer Kriminalisierung ausgesetzt sind, die in keinerlei Verhältnis steht zu den jeweiligen Aktionsformen.

Was besonders erschreckt, sind die angedeuteten Ermüdungs- und Resignationserscheinungen. Leipzig zum Beispiel: „Menschen, die sich vorher grüßten und guten Kontakt hatten, taten plötzlich so, als würden sie sich nicht kennen.“ Diese unter dem Druck sich verstärkende Vereinzelung ist ja das genaue Gegenteil dessen, was man sich als Reaktion wünschen würde. Aber so ist das leider, wenn schon die lose Bekanntschaft zu bestimmten Personen genügt, um dergestalt ins Visier zu geraten, dass man sich mal 4.30 Uhr morgens einer rabiaten Hausdurchsuchung gegenübersieht. Da wird Distanzierung jetzt nicht die völlig unverständlichste Vorbeugemaßnahme sein. Solidarität hat ihren Preis – und man sollte vorsichtig mit dem Urteil darüber sein, welche Gründe den gegebenenfalls zu hoch erscheinen lassen. Die Perspektive wird ja auch nicht unbedingt besser.

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Ein sehr interessantes Gespräch mit Jeanette Hofmann, Professorin für Internetpolitik an der FU Berlin, hat das Weizenbaum-Institut veröffentlicht. Ganz ohne Umschweife ordnet sie den ganzen Desinformations-Kladderadatsch als das ein was es ist: Politisches Handeln zur Mobilisierung und nicht primär ein Werkzeug zur Manipulation: „Die offen zur Schau getragene Gleichgültigkeit gegenüber dem Wahrheitsgehalt von Informationen ist […} weniger Unkenntnis als eine politische Verortung. Und die Idee des Fact-Checking oder De-Bunkings übersieht diese Qualität.“

Dessen ungeachtet wird fleißig weiter gefactcheck und entlarvt. Manchmal wird vielleicht kurz innegehalten und sich gewundert, warum das so kunstvoll mit dem journalistischen Florett erlegte Lügenmonster immer wieder aufsteht. Aber irgendwie folgt nichts aus diesem Moment der Irritation. Man möchte eben weiterhin objektiv über den Dingen stehen. Manchmal frage ich mich, ob mein früherer Berufsstand die Welt, die er zu beschreiben vorgibt, je verstanden hat. Wenn ich an all die Gesprächsrunden und Konferenzen denke, erinnere ich mich vor allem an durch keinerlei Empirie begründbare Selbstgewissheit, die mir oft als Ausdruck von Hilflosigkeit erschien. Gelegentlich war sie sogar nur eine seltsame Bockigkeit gegenüber der von den gelernten Regeln abweichenden Realität.

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Dankbar sein kann ich mal wieder Frédéric Valin für einen Hinweis. Und zwar im nd auf auf „Das Schweigen meines Vaters“ von Mauricio Rosencof, erschienen bei Assoziation A. Obwohl bei den einschlägigen Medien recht breit rezipiert, wär mir das evtl. durchgerutscht. Der Tupamaros-Veteran und Dichter Rosencof nähert sich in der fragmentarischen Erzählung vor dem Hintergrund seiner eigenen barbarischen langjährigen Haft der Geschichte seiner aus dem polnischen Shtetl stammenden Familie. Der Vater, und etwas später Mutter und Bruder, waren noch einige Jahre vorm deutschen Überfall auf Polen ausgewandert. Die meisten Verwandten wurden ermordet.

Was mir neben all den Dingen, die Valin zum Werk bemerkt, noch sehr stark aufgefallen ist: die zärtliche Humanität die das Buch durchzieht. Das mag ein wenig kitschig klingen, aber mir leuchtet da immer wieder in Bildern von Verbundenheit und Widerstand eine tief empfundene Menschlichkeit entgegen. Die wiegt umso stärker, weil sie gegen die schonungslosen Szenen aus der Vernichtungsmaschinerie steht. Keine Sorge, das Buch halluziniert keine falsche Hoffnung im Angesicht von Auschwitz. Das Leben kann nicht schön sein, wenn es an die Rampe von Birkenau gezwungen wird.

So lange aber jemand erzählt – so erzählt wie Rosencof – ist das Leben immerhin noch hier.

„Cli-fi is a genre“

Meinetwegen hätte Cory Doctorow in seiner Buchempfehlung für „After World“ von Debbie Urbanski ruhig erwähnen dürfen, wie depressiv das Buch ist. Obwohl, „relentlessly bleak“ ist bei Tageslicht betrachtet dann doch deutlich genug. Vielleicht hatte ich das überlesen. Hat dann jedenfalls nicht lange gedauert, bis ich selber drauf gekommen bin. Depressiv.

Ich weiß gar nicht so recht, wovon das Buch handelt, wenn nicht vom Gefühl der inneren Katastrophe, die mit gnadenloser Härte in Form wie Inhalt des Textes angereicht wird. Repitition, Isolierung, Unverständnis, unendlicher Schmerz, der Untergang des Ich. Der Untergang der Welt ist dabei die einzig mögliche Kulisse, aber letztlich eben nicht nur das.

Die Grausamkeit des Menschen gegen alles und sich selbst wird als Kammerstück aufgeführt. Die Erzählperspektive des [storyworker] ad39-393a-7fbc demonstriert dabei beinahe mehr Humanismus als die Menschen selber. Diese Software muss sich vom übergeordneten Prozess emly denn auch fragen lassen: „Why would you want to think like a human being?“. Diese Frage ist wiederum selber eine Antwort. „…is it possible to tell a human story without human suffering, is it possible to tell a human story without the suffering of the world“

Gewiss, „After World“ ist auch Cli-fi. Der Weltuntergang per Klimakatastrophe ist eine ausgemachte Sache, die Apokalypse aber kommt in Form eines Virus über die Menschheit. Ist die Vernichtung Erlösung? Für wen? In gewisser Weise stemmt sich das ganze Buch gegen diese doppelte Zerstörung, einmal der natürlichen Umwelt und einmal der Menschheit selber. Dass kein plausibler Ausweg angeboten wird, ist einzusehen und wohl dem Genre eigen.

Die Beschreibung der inneren Katastrophe ist anscheinend der bislang beste Weg, den kommenden Untergang als die unausweichliche Auslöschung jeder Menschlichkeit zu erzählen und nicht als unterhaltsames Spektakel. Denn dafür haben wir ja schließlich die Tagesschau.

Bild oben: Ein Mural, gesehen im Sommer in einer Unterführung in Jelenia Góra

Drei #rc3-Talks, die ich besonders informativ fand (und die mich fachlich nicht total überfordert haben)

Ein paar Sachen stehen noch auf meiner Liste. Bei denen die ich bisher sah, hab ich zu den folgenden tatsächlich Notizen gemacht, weil ichs so spannend fand. Einmal Pandemie-Management, einmal bissel Cyborg-Grusel und einmal digitale Souveränität (nicht das mit dem Nationalstaat, sondern das mit dem Individuum :).

Diagramm einer Versuchsanordnung mit verschiedenen Digitalen Stationen, in deren mitte ein stilisierter Hacker
Liebe diese Darstellung eines Hackers in den slides von „Listen to your heart“

Bianca Kastls Vortrag „Digitalisierung. In einer Pandemie. Im Gesundheitsamt!“ ist allerorten zitiert, der am häufigsten gestreamte Beitrag und mir auch zigmal auf Twitter in die Timeline gespült worden. Die Vortragende kam in der Diskussion um die Luca-App schon im Laufe des vergangenen Jahres zu einiger Prominenz über die Techbubble hinaus. Das Thema brennt einfach.

Neben auch für interessierte Laien verdaulichen konkreten technischen Erläuterungen, inklusive einiger vernichtender Anmerkungen zur Luca-App, finde ich vor allem den abstrakten Rahmen des Talks sehr instruktiv. Kastl steigt nicht zufällig mit dem Hinweis ein, dass es sich um einen „Meta-Talk“ handele. Denn tatsächlich lassen sich aus den Erfahrungen der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und digitalen Expert*innen, wie sie hier geschildert werden, eine Menge wichtiger Lehren ziehen.

Allein die rhetorisch gestellte Frage, ob es im Prozess der Digitalisierung der Datenerfassung von Gesundheitsämtern bis RKI nun darum gehe, einen möglichst schnellen aktuellen Überblick zu bekommen oder die bestehende Verwaltungsstruktur digital nachzubauen, verweist überdeutlich auf eines der grundsätzlichsten Verständigungsprobleme zwischen analoger und digitaler Welt. Ein befreundeter Journalist nannte diesen Effekt der „Elektrifizierung des Bestehenden“ für seinen Bereich gelegentlich „Printernet“.

Dabei ist diese Unbeweglichkeit gegenüber dem Rationalisierungspotential der Digitalisierung üblicherweise nicht einmal böswilliger Natur, sondern einfach nur Ausdruck von Unkenntnis und einer gewissen Lernträgheit, die anscheinend wenigstens teilweise überwunden werden konnte angesichts der besonderen Herausforderungen der letzten zwei Jahre. Letztlich nicht einmal so lange, diese Zeit. Die geschilderten Erfahrungen sind zum größten Teil nicht einmal 12 Monate alt und doch klingt es völlig angemessen, wenn Kastl den März 2021 „damals“ nennt.

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Sehr viel technischer, zumindest im ersten Teil, ist der Vortrag „Listen to Your Heart“ über die Sicherheit moderner Herzschrittmacher und anderer per Funk gesteuerter und ausgelesener Implantate von Endres Puschner und Christoph Saatjohann. Knapp gesagt gibt/gab es hackbare Lücken an den Geräten und Kommunikationswegen. Inwieweit realistischerweise hier Manipulationen stattfinden werden, bleibt unserer Phantasie überlassen. So halb beruhigend stellt Puschner fest, dass veränderte Daten im Zweifelsfall einer zwischengeschalteten medizinischen Fachkraft auffallen müssten. Na, bon chance. Im zweiten Teil des Talks berichtet Saatjohann von testweisen DSGVO-Abfragen für Daten, die in rauen Mengen bei diesen Geräten anfallen, und es ist, kurzgesagt, ein Trauerspiel. Ganz offensichtlich ist der Aufholbedarf bei den Patient*innenrechten gewaltig.

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Nicht uninteressant auch das Podium „System Change mit Instagram?? Social Media und die Zivilgesellschaft“ wo Vertreter*innen der üblichen Verdächtigen aus der Klimabewegung mit Netzaktiven in einer Art konstruktiver Ratlosigkeit über das Dilemma der großen Reichweiten auf Scheißplattformen reden. Schön fand ich padeluuns (Digitalcourage) gewissermaßen selbstkritischen Verweis auf jahrzehntelanges „Nerdversagen“, die Unfähigkeit also, alternative, hinreichend attraktive Plattformen zur Kommunikation im Netz zu etablieren. Obwohl man da wahrscheinlich nicht den gewaltigen Sog außer Acht lassen darf, den Venture Kapital auf das quafilizierte Personal nunmal hat. Wer eine Idee hat die funktioniert, kann die halt auch teuer verkaufen. And why wouldn‘t you, dachten sicher viele unterwegs.

Die Verantwortung der reichweitenstarken Klimaorganisationen für einen system change auch in der digitalen Welt wurde betont, also Leute gezielt zu den Alternativen ziehen. Mir erschien der vorsichtige Einwand von Pauline Brünger (FFF) ganz bedenkenswert, dass es da vielleicht eine Analogie zwischen der (in die Irre führenden) Individualisierung der Verantwortung für die Klimakrise (iss vegan, flieg nicht usw) und der für eine Bewältigung des Problems mit den Großkonzernen im Netz (mach Facebook aus und Google auch usw.) gibt.

Mir war das zu kurz, aber zum Glück kümmert sich Bits und Bäume ja weiter um das Thema. Der eigenverantwortlichen Vertiefung steht also nichts im Wege. Wenn ich mich jetzt nur an mein Mastodon-Login erinnern könnte. Bin mir ziemlich sicher, mal eins gehabt zu haben… Naja.

Update: Mastodon-Login gefunden! https://mastodon.social/@abgelegt