Viele Barrieren und eine Farce

Die Linuxtage an der TU Chemnitz also. Mit dankbarem hat tip an Silke Meyer, deren dringende Empfehlung für die Veranstaltung ich mindestens an informierte Laien wie mich nur weitergeben kann. Ein insgesamt sehr spannendes Programm, besonders toll auch, dass es Beiträge für praktisch jedes Level an Vorkenntnis gab, von extrem hochspezialisierten technischen Sachen, bis zu allgemeineren und allgemeinverständlichen Einführungen in grundlegende Themenfelder.

Besonders anregend fand ich den Strang zu Barrierefreiheit, dessen zwei Vorträge, „Bewusst barrierefrei“ (Irmhild Rogalla, Institut für digitale Teilhabe, HS Bremen) und „Digitale Barrierefreiheit: Basics“ (Lars Kiesow) ganz praktisch deutlich machen, welche Möglichkeiten und Notwendigkeiten auf dem Gebiet der Barrierefreiheit beachtet werden können und sollen. Gerade die Bezüge zu eigener Arbeitserfahrung machten jeweils sehr anschaulich, welche „Kleinigkeiten“ Welten verschließen oder öffnen können.

Bestätigt fand ich hier die Überlegung, dass Barrierefreiheit bei Software und Hardware (wie auch sonst) prinzipiell schon in der Entwicklung voranzustellen, ganz generell die Usability massiv erhöht. Schließlich sind Beeinträchtigungen in den seltensten Fällen ein klarer An-Aus-Schalter, sondern fließende Bereiche von Normabweichungen, die sich spätestens in höherem Alter in den Lebensalltag einschleichen. Und das üblicherweise zunehmend nachteilig. Die häufiger werdenden Beschwerden meiner Großmutter über schlecht instandgesetzte Fußwege sind mir eine deutliche Vorwarnung.

Dem Themenblock zuschlagen würde ich noch den im Track „Eisenbahn“ untergebrachten Beitrag zur Erfassung von Barrieredaten im ÖPNV (Robin Thomas, TU Chemnitz). Hier wird mE ein Beispiel produktiver Verbindung von Forschung und Open-Source-Community gezeigt, das aber auch prinzipielle Fehler im System sichtbar macht. Kurz gesagt geht es bei dem Projekt darum, dass die Nutzer*innen von Open Streetmap, einer populären Google-Maps-Alternative, Informationen über den Stand der Barrierefreiheit von ÖPNV-Haltestellen in die Datenbank einpflegen. Auf dieser Grundlage können mobilitätseingeschränkte Menschen zum Beispiel Routen zuverlässiger planen oder Menschen mit beeinträchtigter Sehfähigkeit vorab mehr über mögliche Hindernisse und deren Umgehung in Erfahrung bringen.

Das ist eine prima Idee, die mit hinreichender Beteiligung sicher eine willkommene Unterstützung ist im alltäglichen Ärger des Umgangs mit einer Welt, die dieses bescheuerte „normal“ zum Maß aller Dinge erhoben hat und auf den Rest keinen Gedanken verschwenden mag. Bedenkend aber, dass hier Daten gesammelt werden, die eigentlich der öffentlichen Hand bereits vorliegen müssten (schließlich gibt es gesetzliche Pflichten zu Barrierefreiheit, deren Einhaltung auch dokumentiert werden muss), ist ein wenig traurig.

Während ein Gesundheitsminister von allen Menschen einfach mal so sämtliche hochsensible Gesundheitsdaten zentralisiert sammeln, lagern und verarbeiten möchte (sry, aber die großspurige ePA-Ankündigung dieser Tage regt mich tierisch auf), schaffen die zuständigen Behörden in diesem Land es nicht einmal, die weit weniger sensiblen, dafür aber für viele Menschen sehr wichtigen Daten zum Ausbau eines barrierefreien Nahverkehrs zu sammeln und maschinenlesbar zur Verfügung zu stellen. Es ist alles so eine Farce. Der Datenschutz ist ja bekanntermaßen daran schuld, dass wir noch immer nicht in der Zukunft leben, für die Gegenwart aber will irgendwie niemand Verantwortung übernehmen. Naja.

Anyway, ich schau mir noch ein ein paar Talks zu anderen Themen an, die sind alle beim CCC-Streamdump abrufbar. (es geht immer so bei ca. 15-18 min los)

Im Bild oben: Buntes Chemnitz, Symbolbild.

Im Wald

Nun ist es schon deutlich länger als ein Jahr her, dass ich meine bislang letzte Zigarette geraucht hab. Der positive Impact auf meine Gesundheit durch den Umstand, dass ich ungefähr genauso lange keiner Lohnarbeit mehr nachgehe, scheint mir aber deutlich höher zu sein, als die Nikotin- und Teerentwöhnung. Nun ist es gewiss keine neue Erkenntnis, dass Arbeit (zumindest unter gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen) krank machen kann. Etwas zu wissen und es selber zu spüren bekommen sind jedoch zwei gänzlich unterschiedliche Angelegenheiten. Das kann eins dann schon ziemlich ratlos zurücklassen.

So viel kann ich aber mit Sicherheit sagen: Im Wald ist es schöner als am Schreibtisch. Und ich meine das gar nicht auf so eine romantisierend-zivilisationsfeindliche Art. Ich mag meinen Schreibtisch durchaus. Es ist aber zweifellos angenehmer, ohne Zeitdruck, ohne Fremdbestimmung auf der Suche nach Pilzen durchs Unterholz zu kriechen. Angenehmer jedenfalls, als beispielsweise ein penetrant klingelndes Telefon oder dieses hässliche Geräusch, mit dem sich neuer Emaileingang die Ehre gibt.

Fliegenpilz auf einer Wiese

In den letzten Tagen gab es so eine Bewegung hin zum Fediverse, oder um genau zu sein, fast ausschließlich zu Mastodon. Auslöser ist der Twitterkauf von Musk. Es wird eigenartigerweise richtig gestritten über die Migration hin zum dezentralen, selbstverwalteten Raum. Vielleicht verständlicherweise. Twitter ist für viele schließlich professionelles Netzwerktool. Da möchte man keine Störungen oder Abwanderungsbewegungen haben, die jene mühevoll aufgebauten Followerstrukturen zerbröseln lassen.

Mir ist das scheißegal, merke ich. Als vorgestern auch noch Instagram abkackte und mich nicht mehr einloggen ließ, fühlte ich kurz so etwas wie Glückseligkeit. Kein Nudging mehr, keine Likechecks und der ganze Kram. Da muss man gar nicht moralisch in die eine oder andere Richtung argumentieren (man kann natürlich, aber auch dann spricht wirklich alles gegen Twitter und für Mastodon).

Frédéric Valin merkte in einem, haha, Facebook-Post an, dass er sich bei Mastodon wohl fühle. Das ist doch zunächst das einzige valide Argument, überhaupt irgendwo rumzuhängen. Im Wald, am Schreibtisch, in der Kneipe, im Netz. Der Rest ist Zwang, oder zumindest nicht immer angenehme Notwendigkeit: Lohnarbeit, Reproduktionsarbeit, Faschismus bekämpfen. Was man halt so machen muss.

Pilz auf einer Wiese, im Hintergrund herbstbunte Bäume

Nachrichten aus der DRM-Hölle und anderen Abgründen

In der Kurzgeschichte „Unauthorized Bread“ (erschienen 2019 im Band „Radicalized“) beschreibt Cory Doctorow das Elend von Digital Rights Management (DRM) anhand eines Toasters, der nur Brot eines bestimmten Herstellers toastet. Seine Protagonistin hackt das Ding aus unmittelbarer Notwendigkeit und wird so zur Kriminellen. So weit hergeholt ist das nicht, Doctorow weiß natürlich wovon er spricht. „The war on general computing“ ist sein Leib- und Magenthema.

Und in der Realität wird praktische jede seiner Analysen immer wieder bestätigt, und das auf Wegen, die sich der Schriftsteller im Prediger und Aktivisten kaum besser hätte ausdenken können. So hat Doctorow grad die Gelegenheit, sich bei der Electronic Frontier Foundation über den nächsten Gipfel der DRM-Unverschämtheit auszulassen. Nach der ohnehin schon reichlich frechen aber inzwischen achselzuckend als Normalität akzeptierten Herstellerbindung bei Druckertinte versucht ein Produzent von Labeldruckern nun die Benutzung von Papier aus nicht autorisierten (oft deutlich preisgünstigeren) Quellen zu unterbinden. Kann also nicht mehr lange dauern mit den Toastern.

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Proprietäre Systeme können dabei noch viel existenziellere Probleme verursachen. Ebenfalls wie aus einer dystopischen Doctorow-Geschichte kommt ein Bericht bei IEEE Spectrum daher (deutschsprachige Zusammenfassung bei futurezone.at). Ein künstliches Auge hört auf zu funktionieren, weil die Herstellerfirma pleite gegangen ist und es keinen Support und keine Updates mehr gibt. „Hört auf zu funktionieren“ bedeutet tatsächlich, dass die Menschen, die für ihr Augenlicht auf das Implantat angewiesen sind, erneut erblinden. Was der Markt halt so regelt.

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Außerdem interessant: Ein bisschen nerdiges Stück bei Mozilla im Blog über die Frage, warum Links standardgemäß blau daherkommen. Die Screenshots in dem Beitrag haben tatsächlich was nostalgisches für mich. Vermisse ein wenig die Neugier und das Erstaunen die ich in den frühen 90ern mit Computern verband. Achja, Spoiler: Die Frage, „Warum ausgerechnet blau?“ kann bislang nicht abschließend geklärt werden.

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Apropos nerdig, ein Tweet, der mE. recht treffend die unfassbare Repression gegen sexuelle Minderheiten in Texas kommentierte, brachte mich auf den Youtubekanal des Autors. Dort dann mit allergrößter Begeisterung dessen fast 22-minütige Eloge auf einen Dosenöffner und die Lehren fürs Leben, die sich aus dem Gerät und Kontext ziehen ließen, geschaut. Das ist ist nicht für alle Stimmungslagen geeignet, aber wenn man sich drauf einlassen kann, ist es wirklich wundervoll.

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Disclaimer: Selbstverständlich lese ich auch das eine oder andere zum Krieg in der Ukraine. Das jedoch auch nur für mich zu ordnen und vielleicht noch Empfehlungen auszusprechen – soweit bin ich nicht. Und ehrlich gesagt gehen mir die ganzen Bescheidwisser mit ihren geopolitischen think pieces, deren Thesen teilweise schon am Erscheinungstag an den Realitäten zerschellen, mächtig auf die Nerven. Am ehesten kann ich im Moment was anfangen mit Berichten von mir vertrauten Journalist*innen über zB. NGOs, die vor Ort der Zivilbevölkerung zu helfen suchen*. Denn, dass die als erste und am stärksten leidet, ist wohl das einzige was sicher ist.

*(wie zB dieses von Dinah Riese für die taz geführte Interview mit einer Organisation namens Libereco)

Mittelschicht und Meckerei ohne Links

Zwei Texte, gelesen in den letzten Tagen. Einer über die geile, actionreiche Debatte um die Mittelschicht als etwas verschwommen definiertes Ideal. Und einer über die ach so böse, böse Technik, die uns alle zu Zombies macht.

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Nils C. Kumkar und Uwe Schimank reflektieren beim Merkur den großen Erfolg der Gesellschaftsanalyse von Andreas Reckwitz in „Das Ende der Illusionen“ und lassen es gleich am Anfang ordentlich knallen: „Reckwitz prägt also nicht deshalb die Debatte, weil seine Diagnose »stimmt«, sondern weil sie »passt«.“ Es wird von den beiden statt dessen nämlich eine erhebliche Differenz zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und gesellschaftlicher Selbstbeobachtung angenommen.

Kumkar und Schimank kritisieren die Beschreibung der Mittelstandsgesellschaft als dominantes nicht nur von Reckwitz idealisiertes Selbstbild, weil sie empirisch so gar nicht (mehr) existiere. Die beschriebenen gesellschaftlichen Bruchlinien gäbe es nicht, weil die von Reckwitz vorausgesetzte Sortierung in „alte“ und „neue“ Mittelklasse allein schon die Differenzen innerhalb der als weitestgehend homogen angenommenen Blöcke völlig außer acht lasse. Die durch so viele politische Lager rezipierte Analyse könne demnach überhaupt nicht zur soziologischen Durchdringung möglicher gesellschaftlicher Spaltung herangezogen werden. Jedenfalls nicht, wenn man an faktischer Realität bleiben wolle.

Nun hab ich den Reckwitz gar nicht gelesen (er liegt hier irgendwo rum, auf einem virtuellem Turm des vernachlässigten Wissens), die Kritik ist mir aber lustigerweise sofort plausibel, zugegebenermaßen sicher auch deshalb, weil sie im wesentlichen dem Hassblock gegen die vermeintliche Identitätspolitik das eine oder andere Argument zu entziehen scheint. Ob sie nun aber mehr auf die Gläubigen als den Propheten zielt, oder gar beide gleichermaßen trifft, überlasse ich zunächst den Beleseneren.

Erinnert hat mich das ganze jedenfalls an die einzige Veranstaltung, der ich in meiner Freizeit, wenn die Erinnerung mir keinen Streich spielt, in den letzten 12 Monaten live in einem geschlossenen Raum beiwohnte. „Mythos Mittelschicht“. hieß die (die Aufzeichnung hat leider in der ersten Stunde einen ganz beschissenen Ton). Dort versuchten die Gäste Volkan Ağar, Julia Friedrichs und Mareice Kaiser das Problem mit dem Selbst- und Idealbild der gesellschaftlichen Mitte einzukreisen.

Die Kombination aus den dreien war an sich ganz konstruktiv, wenn auch durch schwache Moderation nicht so richtig zusammengeführt. Friedrichs zB mit dem sehr nützlichen Beharren auf einer sauberen Empirie, besonders hilfreich dabei der Hinweis darauf, dass die Einkommensmittelschicht messbar an Bedeutung verliere und vererbbares Vermögen immer entscheidender für nachhaltige Mittelklassenzugehörigkeit werde. Kaiser und Ağar dagegen mit dem auch in vielen ihrer Texte herausklingenden Balanceakt, die eigene Ausgeschlossenheitserfahrung nicht einfach nur als erbauliche Geschichte individueller Auseinandersetzungen und Aufstiege, sondern im größeren Zusammenhang der allgegenwärtigen ökonomischen Unterdrückung zu erzählen.

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Eine Sache die mich ein wenig genervt hat während und dann auch noch nach dem Lesen war ein Vorabauszug aus einem Buch beim Guardian. Um gestohlene Aufmerksamkeit geht es da, wie die Internetkonzerne unseren Fokus zerstören und welche schlimmen neurologischen und kognitiven Folgen das hat. So weit so schnarch. Normalerweise lese ich derartiges gar nicht erst vertieft, weil solche Aufsätze einfach zu oft von Unkenntnis und Ressentiments und einem furchtbar langweiligen Kulturkonservatismus geprägt sind. Jedoch war der Icherzähler schon beim Einstieg ein so unterträgliches Arschloch, das zB den Versuch beschreibt, seinem unaufmerksamen Neffen das Telefon aus der Hand zu schlagen und zwar einsieht, dass das Kind keine Schuld trage, aber der Autor sich überhaupt nicht für den eigenen autoritären Impuls zu schämen scheint, also so ein unglaubliches Arschloch, dass ich nicht so recht aufhören konnte, weil ich einfach wissen musste, was der noch für einen Mist fabriziert.

Dann wird das ganze aber sogar ganz interessant, mit Bezügen zu wissenschaftlichen Studien und insgesamt nicht unklugen Beobachtungen, allerdings, und sowas ärgert mich wirklich, ohne Links im Text zu irgendwelchen Quellen. Dafür lauter Angebereien, wohin der Autor nicht alles geflogen war, um mit irgendwelchen Koryphäen zum Thema zu plaudern. Ich mein, auch wenn es ein Buchauszug ist: Es ist 2022, und es steht auf einer Webseite. Wo ist das Problem, verdammtnochmal Links zu setzen? Oder stört das den Fokus auf den Text?

Egal, denn als ich dann mehr über den Autor erfahren wollte, musste ich lernen, dass der, Johann Hari, schon mehrfach wegen schwerer Verfehlungen gegen journalistische Berufsethik auffällig geworden ist. (Plagiate, noch mehr Plagiate, hinterhältige Kampagnen) So jemand hätte die Links zu seinen Quellen mit dem Text bei mir in der Redaktion gleich mitliefern müssen, wenn ich schon die etwas seltsame Entscheidung treffe, Werbung für ihn zu machen.

Aber was soll‘s, so wird der Turm noch zu lesender Bücher mit diesem nicht höher gemacht, bleibt mehr Zeit für Andreas Reckwitz, nicht wahr.

Drei #rc3-Talks, die ich besonders informativ fand (und die mich fachlich nicht total überfordert haben)

Ein paar Sachen stehen noch auf meiner Liste. Bei denen die ich bisher sah, hab ich zu den folgenden tatsächlich Notizen gemacht, weil ichs so spannend fand. Einmal Pandemie-Management, einmal bissel Cyborg-Grusel und einmal digitale Souveränität (nicht das mit dem Nationalstaat, sondern das mit dem Individuum :).

Diagramm einer Versuchsanordnung mit verschiedenen Digitalen Stationen, in deren mitte ein stilisierter Hacker
Liebe diese Darstellung eines Hackers in den slides von „Listen to your heart“

Bianca Kastls Vortrag „Digitalisierung. In einer Pandemie. Im Gesundheitsamt!“ ist allerorten zitiert, der am häufigsten gestreamte Beitrag und mir auch zigmal auf Twitter in die Timeline gespült worden. Die Vortragende kam in der Diskussion um die Luca-App schon im Laufe des vergangenen Jahres zu einiger Prominenz über die Techbubble hinaus. Das Thema brennt einfach.

Neben auch für interessierte Laien verdaulichen konkreten technischen Erläuterungen, inklusive einiger vernichtender Anmerkungen zur Luca-App, finde ich vor allem den abstrakten Rahmen des Talks sehr instruktiv. Kastl steigt nicht zufällig mit dem Hinweis ein, dass es sich um einen „Meta-Talk“ handele. Denn tatsächlich lassen sich aus den Erfahrungen der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und digitalen Expert*innen, wie sie hier geschildert werden, eine Menge wichtiger Lehren ziehen.

Allein die rhetorisch gestellte Frage, ob es im Prozess der Digitalisierung der Datenerfassung von Gesundheitsämtern bis RKI nun darum gehe, einen möglichst schnellen aktuellen Überblick zu bekommen oder die bestehende Verwaltungsstruktur digital nachzubauen, verweist überdeutlich auf eines der grundsätzlichsten Verständigungsprobleme zwischen analoger und digitaler Welt. Ein befreundeter Journalist nannte diesen Effekt der „Elektrifizierung des Bestehenden“ für seinen Bereich gelegentlich „Printernet“.

Dabei ist diese Unbeweglichkeit gegenüber dem Rationalisierungspotential der Digitalisierung üblicherweise nicht einmal böswilliger Natur, sondern einfach nur Ausdruck von Unkenntnis und einer gewissen Lernträgheit, die anscheinend wenigstens teilweise überwunden werden konnte angesichts der besonderen Herausforderungen der letzten zwei Jahre. Letztlich nicht einmal so lange, diese Zeit. Die geschilderten Erfahrungen sind zum größten Teil nicht einmal 12 Monate alt und doch klingt es völlig angemessen, wenn Kastl den März 2021 „damals“ nennt.

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Sehr viel technischer, zumindest im ersten Teil, ist der Vortrag „Listen to Your Heart“ über die Sicherheit moderner Herzschrittmacher und anderer per Funk gesteuerter und ausgelesener Implantate von Endres Puschner und Christoph Saatjohann. Knapp gesagt gibt/gab es hackbare Lücken an den Geräten und Kommunikationswegen. Inwieweit realistischerweise hier Manipulationen stattfinden werden, bleibt unserer Phantasie überlassen. So halb beruhigend stellt Puschner fest, dass veränderte Daten im Zweifelsfall einer zwischengeschalteten medizinischen Fachkraft auffallen müssten. Na, bon chance. Im zweiten Teil des Talks berichtet Saatjohann von testweisen DSGVO-Abfragen für Daten, die in rauen Mengen bei diesen Geräten anfallen, und es ist, kurzgesagt, ein Trauerspiel. Ganz offensichtlich ist der Aufholbedarf bei den Patient*innenrechten gewaltig.

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Nicht uninteressant auch das Podium „System Change mit Instagram?? Social Media und die Zivilgesellschaft“ wo Vertreter*innen der üblichen Verdächtigen aus der Klimabewegung mit Netzaktiven in einer Art konstruktiver Ratlosigkeit über das Dilemma der großen Reichweiten auf Scheißplattformen reden. Schön fand ich padeluuns (Digitalcourage) gewissermaßen selbstkritischen Verweis auf jahrzehntelanges „Nerdversagen“, die Unfähigkeit also, alternative, hinreichend attraktive Plattformen zur Kommunikation im Netz zu etablieren. Obwohl man da wahrscheinlich nicht den gewaltigen Sog außer Acht lassen darf, den Venture Kapital auf das quafilizierte Personal nunmal hat. Wer eine Idee hat die funktioniert, kann die halt auch teuer verkaufen. And why wouldn‘t you, dachten sicher viele unterwegs.

Die Verantwortung der reichweitenstarken Klimaorganisationen für einen system change auch in der digitalen Welt wurde betont, also Leute gezielt zu den Alternativen ziehen. Mir erschien der vorsichtige Einwand von Pauline Brünger (FFF) ganz bedenkenswert, dass es da vielleicht eine Analogie zwischen der (in die Irre führenden) Individualisierung der Verantwortung für die Klimakrise (iss vegan, flieg nicht usw) und der für eine Bewältigung des Problems mit den Großkonzernen im Netz (mach Facebook aus und Google auch usw.) gibt.

Mir war das zu kurz, aber zum Glück kümmert sich Bits und Bäume ja weiter um das Thema. Der eigenverantwortlichen Vertiefung steht also nichts im Wege. Wenn ich mich jetzt nur an mein Mastodon-Login erinnern könnte. Bin mir ziemlich sicher, mal eins gehabt zu haben… Naja.

Update: Mastodon-Login gefunden! https://mastodon.social/@abgelegt