Was fehlt

Ach, ich wollte mich so aufregen. Über einen früheren Arbeitgeber. Die Gründe sind gut genug, der Anlass aber nicht. Denn drauf gekommen bin ich, weil ich dreimal in ebenso vielen Wochen nah dran war (mehr als in den letzten drei Jahren zusammengenommen). Zwei Abschiedsfeiern dort, eine Reunion dazu.

Denn was soll das. Ich vermisse Menschen von da und habe mich gefreut, sie wiederzusehen. Was kümmert es mich also Jahre nach meinem Weggang, dass der Laden so ein Scheiß ist? Tja, eben.

***

Der verdiente Zitatgeber des Volkes, Frédéric Valin, schrieb mal irgendwo, dass es ihm gut tue, die Publikationen für die er schreibe nicht mehr zu lesen.

Viel besser lässt sich die Irrelevanz diverser linker oder pseudolinker Organe nicht zusammenfassen. So eine Art professional Facebook: Man schreibt was rein, bekommt immerhin 12,50 Euro dafür, liest den andern Kram aber besser nicht, sind eh alles Idioten.

Warum also überhaupt noch publizieren? Die Faschisten werden nicht mit der spitzen Feder aufgehalten. Außerdem ist die Zeit zu kurz, mit den andern 12,50-Nichtsnutzen darüber zu diskutieren, ab wie viel Punkten auf der Adolfskala man sich auch handgreiflich wehren darf. Aber irgendjemand muss natürlich die „Art und Weise“ anprangern, in der Widerständigkeit sich findet. Lina soll also Nazis weh getan haben. Hmm, ich bin sehr entschieden gegen Gewalt und genau deshalb hat diese mir ansonsten gänzlich unbekannte junge Frau meine Solidarität.

[jetzt bloß nicht schwach werden, keinen Unsinn verlinken]

***

Das ist das Internet, das angeblich nichts vergisst. Ich finde die besten Texte nicht mehr. Nicht von Freund*innen, nicht von Bekannten, nicht von verschämt Verehrten. Nicht den über die Emos von M. (der sich verpisst hat), nicht das Stück übers sich selber Wegschreiben von B. (den ich fragen kann, ob ers noch irgendwo hat).

Ich hatte keine so rechte Vorstellung, was das alles soll mit diesem Netz, aber ich mochte das, wollte Teil davon sein. Das war anstrengend.

Es geht mir viel besser heute, weil ich weiß was fehlt. Die Suche wird deshalb nicht leichter.

Beschränkter Zugriff

Der Abstand zum Herkunftsort vergrößert sich von Jahr zu Jahr. Keine Ahnung wie lange es schon wieder her ist, dass ich das letzte Mal in Rostock war. Nun musste ich aber. Ein bisschen Recherche eben. Nicht großartig investigativ oder so, mehr Atmosphäre mitnehmen, Inspiration für ein Stück über Erinnerung finden (erschienen am 22.8. in der taz).

Auffällig war, wie wenig mich das alles berührt. Es ist mir ziemlich präsent, wie angespannt das noch vor 10 Jahren war, den alten Schulweg zu gehen, die Ecken zu sehen, wo ich meine unangenehmen Begegnungen mit den Faschos hatte. Und jetzt ist das recht gelassen, sogar das S-Bahn-Fahren. Auch wenn die Vergangenheit noch lange nicht vergangen ist, so hat sie doch keinen unbeschränkten Zugriff mehr auf mich. Das ist OK.

Blick auf ein Hochhaus, im Vordergrund eine gut einen Meter hohe weiße Stele, die beschmiert ist
Sonnenblumenhaus, Lichtenhagen, August 2022

Statt dessen verhaltenes Interesse („Ach, so sieht das jetzt hier aus“). Hinreichend Distanz ist das, um die Seltsamkeit der Veränderungen zu würdigen. Wie Straßen gänzlich anders verlaufen oder gleich komplett verschwunden sind. Das Gestrüpp zwischen Groß Klein und Schmarl, wo früher Wildschweine verkehrten, ist jetzt dieses ordentliche IGA-Gelände. „Jetzt“. Seit Ewigkeiten ist das da schon, aber noch länger war ich halt nicht hier gewesen. Immerhin, das Traditionsschiff liegt an seinem Platz.

Ich war mir nicht mehr sicher, in welcher Hausnummer wir in der Eutiner Straße nach dem Umzug nach Lichtenhagen gewohnt haben. Die Telefonzelle vor der Tür ist weg. Weg ist auch die Schule, die ich gut acht Jahre besucht habe. Ein Sportplatz ist da an ihrer Stelle.

Blick auf einen Sportplatz im Hintergrund Plattenbauten
Schulen zu Sportplätzen

An meiner Lieblingsstrandstelle aus Kindheit und Jugend ist der Sonnenuntergang weiterhin postkartentauglich. Premiumcontent für eine Premiumgeneration.

Sonnenuntergang am Meer