Packpapier

Was Seesslen in der taz zum Verschwinden der der gedruckten Zeitung schreibt, beschäftigt mich jetzt schon ein paar Tage. Ich möchte die ganze Zeit widersprechen, bin aber unschlüssig, worauf eigentlich. Entweder durchdringe ich den Text nicht so richtig oder er ist für Seesslens Verhältnisse einfach ungewöhnlich argumentiert. Üblichererweise ist das bei ihm doch immer ziemlich deutlich. Mäandernd bisweilen, ja, aber am Ende doch recht unmissverständlich durchgetaktet. Stoff zum drüber nachdenken, dran reiben. Klar und nüchtern hergeleitete Gedanken eben.

Hier aber lese ich eine ungewohnte Sentimentalität raus, die sich, wie es in ihrer Natur liegt, aus sich selbst heraus begründet und deshalb keiner weiteren Erläuterung bedarf. Oder übersehe ich was? Vielleicht fehlt mir aber auch einfach der Bezug zur Zeitung als papiernes Objekt. Ich hatte früher Abos, fand es auch ein ganz erhebend, das erste Mal so eine Zeitung mit einem Text von mir drin in der Hand zu haben. Aber, dass ich die Kulturtechnik vermissen würde, die „Rituale des Alltagslebens“, die Beobachtung „wie einer faltet, die andere hinlegt“ usw, kann ich nicht sagen.

Funny enough, ich halte die Einstellung gedruckter Zeitung ganz generell trotzdem für einen Fehler, aber nicht, weil die Nachrichten beim Übergang in ein anderes medium „ihr Wesen verändern“ (eine Charakterisierung des Prozesses die ich, nebenbei, nachvollziehen kann). Es scheint mir nur eher eine Fortsetzung des verlegerischen Missverständnisses in der Einordnung des eigenen Geschäfts. Eine Art Trotz fast. „Nee, jetzt nicht mehr gedruckt. Ätsch“. Während die Verlage nämlich den digitalen Bereich zunächst nur auf sein Marketingpotential hin abgeklopft haben und dabei über Jahre, Jahrzehnte, nichts von den journalistischen Möglichkeiten im Netz begriffen, scheinen sie nun das Marketingpotential der Printausgaben zu unterschätzen.

Selbstverständlich bringt eine gedruckte Zeitung ab einem bestimmten Punkt (Rückgang Abos, Werbung / Anstieg Druck-, Papier- und Vertriebskosten) keinen unmittelbaren Gewinn mehr. Das konnten sich selbst mäßig begabte Verleger schon vor einer ganzen Weile selber ausrechnen. In der Öffentlichkeit sichtbar zu sein, sei es an Kioskauslagen, sei es an diesen unpraktischen Zeitungshaltern in Cafés, kommuniziert aber die Marke in eine Sphäre, die sowohl von digital natives, als auch von den sentimentalen Kulturtechnikern gelegentlich betreten wird. Das spannende an so einem Marketing ist, dass die Maßnahme zur Steigerung der Wahrnehmung sich immerhin zum Teil direkt selber finanziert: durch Abos und Verkauf. Und es ist eine Form der Werbung, die mE nicht ganz so gehasst wird, wie blinkende Banner auf Webseiten oder über den unmittelbaren Werbezweck hinaus so nutzlos ist wie Plakate an Litfaßsäulen. Aber egal.

Anlass für den Seesslens Text war ja eventuell die Ankündigung der taz, im Oktober 2025 das tägliche Print einzustellen. Die Wochenendausgabe und der Onlinebetrieb sollen bleiben. Ich weiß, die Sprachregelung bei dieser „Seitenwende“ (ich hoffe, das ist selbst ausgedacht und nicht zu viel Geld für ne Agentur bei drauf gegangen) ist, dass man damit ganz vorne dran sei an der Entwicklung der Branche. Was Quatsch ist. Eine Wochenzeitung mit angeschlossenem aktuellem Onlinebetrieb ist schließlich schon ein etwas älteres Konzept. Ich glaube ich hab davon das erste Mal vor bald 30 Jahren gehört. Aber auch das ist egal.

Nicht egal ist Seesslens These, dass eine bestimmte Form ziviler und demokratischer Debatte und Öffentlichkeit an ein bestimmtes Medium, die papierne Zeitung, gebunden ist. „Behauptung“ sage ich deshalb, weil die Hauptaussage „Die Zeitungen sterben, der Demokratie geht es auch nicht besonders. Vielleicht hat das eine doch etwas mit dem anderen zu tun.“ eine Koinzidenz vielleicht ganz richtig beobachtet. Die Kausalität aber wird mir nicht hinreichend begründet. Und ich glaube, das ist es auch was mich stört. Dass das, was der Ausgangspunkt einer Überlegung sein könnte, zumindest bei diesem Text ihr Abschluss ist. Vielleicht will ich ja gar nicht widersprechen, sondern würde nur gerne mehr erfahren.

Muskelgedächtnis

Das Gespräch war erbaulich gewesen. Ein Wiedersehen nach langer Zeit. Abgleich und Austausch. Erwachsene Routine beim Füllen der Lücken. Samtene Übereinkunft darin, welche Fragen offen bleiben können. Es gibt so Vieles, das im Vagen bleiben muss mit den Vielen, die wir viel zu selten treffen. Wie geht’s denn sonst so? Ach, muss ja.

Also lieber in die Zukunft geschaut. Wir vergleichen die Erwartung an das kommende Jahr. Die politischen Erwartungen, ohje. Was will man denn noch wissen von diesem Land? Welche Geschichten sollen uns noch was erzählen, das nicht längst bekannt wäre? Es ist doch allen klar, was und wer da kommt. Chronistenpflicht, schön und gut, aber darüber hinaus?

Und dann werden wir zügig einig, was wir doch noch hören möchten. Lernen wollen wir von denen, die sich weiterhin dagegen stemmen. Von jenen, die die Verhältnisse nicht als unveränderbar hinzunehmen bereit sind. Eines vor allem will man wissen: Woher zieht ihr eure Kraft?

Eine gute Fragestellung, nicht wahr.

Da träume ich gleich von bewegenden, ermutigenden, und mitreißenden Antworten. Bin ganz beseelt von meiner Fantasie. Allein das powert mich ganz schön hoch.

Erzähle überall gerührt davon. Auch J., schon lange tätig im zivilgesellschaftlichen Bereich, mit guten Kontakten in die Fläche. „Jaja, wir haben die Einrichtungen vor Ort befragt. Einmal, was so auf sie zukommt, angesichts der neuen Mehrheiten, dann woher sie noch ihre Kraft schöpfen, und zuletzt was sie konkret an Hilfe gebrauchen könnten. Die zweite Frage wurde von den meisten übergangen. Einfach nicht beantwortet.“

Einfach nicht beantwortet.

Lassen wir das sacken. Wie so viele nur noch Phantomstrom auf den Batterien haben. Und wenn auch der verflackert ist, geht es trotzdem weiter. Nur nicht denken an den Abgrund, der an jeder Faser, jedem Muskel zieht.

Das wäre vielleicht das zeitgemäße Held*innenepos: eine Geschichte dauerhafter Erschöpfung im Kampf gegen ein Monster, das gierig Unzählige verschlingt. Obwohl das ja in gewisser Weise auch Teil des traditionellen Epos ist. Nur, dass wir für gewöhnlich nicht mit den Verlierern und Verlorenen, sondern auf dem Rücken der Recken reisen, die am Ende strahlen.

Klar, die gute Nachricht ist: Das Monster wird zum Schluß immer besiegt. Das lehren uns die Geschichten. Die Frage ist, zu welchem Preis und wer den Preis bezahlt. Die Knochen der unterwegs Geschlagenen sind zwar häufig präsent in der Erzählung. Aber mehr als Kulisse am Wegesrand, Warnung vor Unvorsicht und Überheblichkeit zum Beispiel.

Was aber, wenn die vielen früh Gefallenen gar nicht hochmütig waren. Sondern einfach nicht mehr wussten, woher sie noch Kraft ziehen sollten und schließlich der Gewalt der Gravitation erlagen. „Es ist die alte Geschichte von Dornröschen: Hunderte Ritter mußten elend im Gestrüpp krepieren, und vor dem einen, dem letzten dann öffnete sich das Tor“, schreibt Franz Fühmann (22 Tage). Aber mussten sie wirklich? Und viel wichtiger, müssen sie immer und immer wieder?

Woher also nehmen wir die Kraft? Aus dem Wissen, dass nicht alles naturgesetzliche Unabänderlichkeit ist, auch wenn es sich bisweilen so anfühlt. Geschichte wird schließlich immer noch gemacht. Das ist keine Drohung. Ganz im Gegenteil.

Reicht diese Erkenntnis aber für die Energiezufuhr? Ach, muss ja. Für den Anfang zumindest. Und für den Fortgang weniger Vagheiten vielleicht; dafür mehr Treffen, Gespräche, Austausch und Abgleich.

Im Bild oben: Das letzte was hundert Ritter sahen.