Privatstädte, Füh- und Passmann (Bonus Kürbisgulasch)

Dieser Tage nachholend so einiges gelesen. Bitteschön:

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In der Frankfurter Rundschau findet sich eine interessante Recherche von Andreas Kemper zu den Bestrebungen, „Private Städte“, also urbane Räume jenseits demokratisch Übersicht/staatlicher Kontrolle zu schaffen. Kemper geht es dabei vor allem um eine Degussa-Connection und deren Bestrebungen in „politisch vergleichsweise schwachen Staaten“ mit viel Geld entsprechende Gated Communites der besonderen Art einzurichten. Die Rede in diesem Falle ist von Honduras sowie São Tomé und Príncipe.

Das erinnert an ähnliche Pläne ein wenig weiter nördlich. Im Bundesstaat Nevada könnte es demnächst möglich sein, mit genug Geld und Grundbesitz quasi exterritoriale Städte zu bauen, schön mit eigenen Gesetzen und Steuern. Wenn man‘s genau bedenkt ist das eine nur logische Entwicklung. Sich immer wieder aufs neue Politiker*innen kaufen zu müssen, um ein gewisses Maß an Kontrolle über die Stadtentwicklung in bestehenden Metropolen zu haben, ist schließlich ein ziemlich langwieriges Glücksspiel. Die Eigentumsverhältnisse von Anfang klar zu haben, ist da irgendwie ehrlicher.

Ich frag mich nur die ganze Zeit, wo dann eigentlich die Dienstboten der Luxusretreats wohnen werden. Wahrscheinlich in Trailer-Slums vor den Stadttoren. Vielleicht weiß Andreas Kemper ja mehr darüber, immerhin hat er ein Buch zur Sache geschrieben das im März bei Unrast erscheint. Ich bin jedenfalls gespannt.

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Gunnar Decker noch mit einem im Freitag nachgereichten Stück zu Fühmann. Decker geht auf die Hermetik FFs ein, seine Unverkäuflichkeit im goldnen Westen, die Suche nach dem „Eigentlichen“ in der Literatur. Tatsächlich fand ich den bis ins Extreme sich steigernde Kunstbegriff und Anspruch Fühmanns nicht durchweg richtig oder gar einladend. Andererseits muss der Antrieb, immer weiter zu forschen und zu schaffen ja von etwas herkommen, und woher soll ich amplitudenarmer Schlumpf das schon wissen.

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Bei Zeit Online hat Sophie Passmann Tocotronic gewürdigt. Wenn auch weniger die Band, als das ganze Phänomen rundherum. Als entschiedener Nicht-Fan war ich trotzdem sehr angesprochen von dieser humor- wie liebevollen und klug beobachteten Erläuterung. Zum Text meinte K., dass der schon sehr „passmannisch“ sei. Versäumt zu fragen, ob das jetzt was schlechtes ist. Tja.

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Gekocht hab ich auch die Tage, einer Empfehlung aus einem Newsletter folgend. Robin Detjes erbauliche Serie „Lasst uns gemeinsam einen besseren Weltuntergang bauen!“ endete im 5. Teil, versandt am vergangenen Montag, mit dem Link auf ein Kürbisgulaschrezept. Da alle Zutaten* hier vorhanden waren und es eine fixe Angelegenheit ist, gleich mal gekocht. Ich würde beim nächsten Mal gewiss etwas großzügiger salzen gleich am Anfang und die Menge Linsen um vielleicht ein Drittel reduzieren, aber geschmeckt hat‘s ansonsten prima.

*(naja, fast alle, statt Rotweinessig Balsamico genommen und statt Gemüsesuppe Kalbsfond und weil der Majoran hier jahrelang stiefmütterlich vor sich hindiffundierte, lieber noch etwas Rosmarin nachgelegt)

FF 100

„Der Wahrheit nachsinnen, viel Schmerz“ – der Trakl-Bezug war am Ende Lebensmotto von Franz Fühmann, dessen 100. am 15. Januar hie und da Anlass für biografische Erinnerungen und Betrachtungen ist. Sehr dicht und informiert und informierend: Lukas Betzler bei 54books.de.

Zwei Bücher von Franz Fühmann. "22 Tage oder Die Hälfte des Lebens" und "Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel"
Etwas zerlesen über die Jahre

Wenn ich einen mich durchs Leben begleitenden Namen aus dem Bücherschrank ziehen müsste, Fühmann wär‘s. Begonnen hat es mit dem Zufall, dass die Frau im Kiosk, über dem wir damals in Rostock wohnten, meiner Mutter „Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel“ beiseite legte. Bückware Anfang der Achtziger, wie alles von Fühmann, der durch seine Nachdichtungen klassischer Mythen zwar allgegenwärtig und doch an den Rand gedrängt war.

Gänzlich unversöhnlich mit sich selbst, blieb der Konflikt mit den vermaledeiten Verhältnissen und ihren jämmerlichen Apologeten in der DDR nicht aus. Die Zersetzung durch die Stasi erreichte Fühmann überall. Selbst Lesungen der „Dampfenden Hälse“, eines Kinderbuches also, wurden gestört oder verhindert. Dieses Land, dessen Kulturbürokratie so geistesklein war, dass sie sich zwar gerne im „kulturellen Erbe“ aus Jahrhunderten rückwärts sonnen wollte, dessen Bedeutung für das Heute aber nicht so gern diskutieren mochte, konnte jemand so umfassend interessiertes, kluges, sendungsbewusstes nur unverständig abstoßen. Ein paar Jahre zu früh gestorben, elendig am Krebs verreckt, blieb F. die mögliche Renaissance des eignen Werkes verwehrt, das einigen (auch weniger fähigen) nach der Wende noch einmal ganz ordentlich Auftrieb gab.

Auch Betzler wundert sich ein wenig, warum Fühmann trotz diverser prominenter Fürsprache in den vergangenen Jahren weiterhin so tief unter dem Radar läuft. Nunja, die Welt hat sich eben weitergedreht und die Schonungslosigkeit und gelegentlich recht deutlich hervortretende Sperrigkeit (mal ehrlich: Trakl! Vom „Bergwerks“-Fragment ganz zu schweigen) Fühmanns überfordert umso mehr, je länger er tot ist. Da greifen die Segnungen des Kapitalismus: Das Gute und Gefährliche muss ja gar nicht verboten werden, das regelt alles der Markt in die zugehörigen Nischen weg.

Außerdem ist jemand, der so dringend an die Wandlungsfähigkeit, die Veränderbarkeit des Menschen glaubt, als umerzogener Nationalsozialist und umgelernter Stalinist glauben muss, mit seinem finsteren Optimismus so dramatisch aus jeder Zeit gefallen, dass er zwar immer ein Publikum finden wird, das aber eher nicht so zahlreich. Das Fühmann-Faible wird zuverlässig ein Orchideenfach bleiben, denk ich mal.

Meine zweite Zufallsbegegnung mit ihm passierte gut 20 Jahre später in einem Antiquariat in Berlin. Beim Stöbern „22 Tage oder Die Hälfte des Lebens“ in die Hände bekommen. Pfennigware Anfang der Zweitausender, die ich in liebevoller Erinnerung an die „Dampfenden Hälse“ mit einpackte und später ohne große Erwartungen aufblätterte – und seitdem nicht mehr zugeklappt hab. Dieses kleine Bändchen, dieses Wahnsinnsbuch ist das für mich vielleicht wichtigste, das ich je gelesen hab.

Erklären die „Dampfenden Hälse“ kindgerecht, welche Universen Sprache zu öffnen vermag, ist „22 Tage“ eine praktische Umsetzung der Theorie. Dass Fühmann das mit um die 50 geschriebene Buch als seinen Eintritt in die Literatur bezeichnete, ist ganz und gar nicht kokett. Der herausragende Kritiker in ihm machte eben auch und gerade vorm eigenen Werk nicht halt. Und das wiederzuentdecken lohnt sich selbstverständlich.

Einiges von Fühmann ist weiterhin lieferbar, die „Dampfenden Hälse“ und „22 Tage“ auch noch in neueren Einzelausgaben, die genauso wie die Werksausgabe bei Hinstorff erschienen sind, einem Verlag der sonst eher auf Maritimes und Rostock spezialisiert ist und bei dem Fühmann eher zufällig gelandet war, was aber auch schon wieder ein ganz andere Geschichte aus einem längst untergegangenen Land ist.

Aus gegebenem Anlass

Hören Sie, H., wenn diese Regierung Ihnen Geld geben will, dann hat sie’s auch, und dann nehmen Sie’s. Und noch einen Rat: ein Schriftsteller kann gar nicht genug Geld haben.

Laut Stefan Heym, war das Brechts Rat an ihn, als er während der Verleihung des mit 10.000 Mark dotierten Heinrich-Mann-Preises 1953 Skrupel äußerte

lies Jerofejew nicht! vorm einschlafen

Screenshot youtube, Porträt von Wenedikt Jerofejew mit dem Untertitel: "I stopped going to militäry classes"
Warum Jerofejew von der Uni flog

Bisschen schlecht durch die Nacht gekommen letztens, wegen eines Buchs, das mich emotional ganz schön angegangen ist. Schwierige Sache sowas, Sensibilität ist schließlich wieder out, irgendwelche langhaarigen TV-Filosofn wollen Bockbier und Männlichkeit retten, aber mich berühren Kunstwerke einfach zu leicht. Anlässlich des Todes von Sondheim verschiedene Versionen von „Send in the clowns“ gehört – Trä-nen-schlei-er (außer bei Sinatra natürlich).

Und gerade eben also Wenedikt Jerofejews „Die Reise nach Petuschki“ (Übersetzung von Natascha Spitz) gelesen. Diese apokalyptische Vision, die da doch etwas unvermittelt im letzten Viertel einsetzt, ist keine ideale Einschlaflektüre. Jaja, sooo unvermittelt kommt das selbstverständlich wiederum nicht; wenn man ein bisschen aufpasst, ist auch der ganze lockere Witz davor schon latent bedrohlich. Aus allen Poren schwitzt da die tiefe Religiosität, (enttäuschte) Heilserwartung fließt mit jedem Gramm Wodka, am Ende kommen zwangsläufig die vier Reiter, so steht‘s halt schon immer geschrieben.

Das Bild ist ein Screenshot von Youtube, wo es einen BBC-Film gibt, relativ kurz vorm Tod des Autors entstanden, über Leben und Werk, also vor allem Petuschki.