Vor der Revolution

Die Berlinale ist aus familiären Gründen seit Jahren einerseits sehr präsent in meinem Leben, anderseits kann ich auch für dieses Festival meine völlig irrationale Abneigung gegen Kinos nur schwerlich überwinden. Der Besuch dreier Filme in diesem Jahr war somit ein neuer Rekord.

Zunächst „A Reinha Diaba“ (Forum Spezial), eine Art Gangsterklamotte aus dem Brasilien der Militärdiktatur. Wie der Film 1973 die Zensur passieren konnte, ist ein wenig unklar. Dass er seitdem zu so einer Art Kult geworden sein soll, ist aber sehr plausibel. In einer gut restaurierten Fassung fließt das Blut in Strömen, die Musik ist ganz ausgezeichnet. Das ganze kommt kurzweilig und spannend daher. Die dargestellten Geschlechterstereotype und auch das Bild homosexueller Männer würden so heute sicher anders präsentiert werden, als Zeugnis seiner Entstehungszeit ist der Film aber insgesamt recht gut gealtert.

Next up war „Prima della rivoluzione“ (Retrospektive) von Bernardo Bertolucci aus dem Jahr 1964. Auch hier sind die Geschlechterbilder erkennbar an ihre Zeit gebunden, ansonsten ist der Film aber ganz hinreißend. Ich habe ihn das erste Mal gesehen und fand die Darstellung des bürgerlichen Rebellen, der letztlich weder die Welt noch sich selber zu erkennen in der Lage ist und so ohne Ausweg an die Zeit „vor der Revolution“ gefesselt und nicht einmal zum privaten Glück in der Lage ist, sehr überzeugend.

Eigenartigerweise fanden für mich die Thesen Bertoluccis ein sicher so nicht gewolltes Echo im dritten Film, „Notes from Eremozene“ (Forum), dem aktuelle Film der slowakischen Kunstfilmerin Viera Čákanyová. Mal abgesehen davon, dass mir die Bildsprache mit ihren Verzerrungen und dem Spiel mit Auflösungen und Rastern nicht sonderlich innovativ zu sein scheint, find ich das ganze auch inhaltlich recht schwachbrüstig. Die Idee, dass der Mensch von sich selbst entfremdet, mit all der Technologie auch noch seine physische Lebensgrundlage zerstört, ist nun doch schon so einige Male recht qualifiziert vorgetragen worden. Da leistet der Film jetzt keinen sonderlich berauschenden Beitrag zur Debatte. Aneinandergereihte Buzzwords, illustriert mit dieser technoiden Optik und verrauschtem Sound; hmm. Was am Ende bleibt, ist eine nicht näher betrachtete Depression – nicht als Beschreibung eines Zustands, sondern als Botschaft. Von Kritik, von Revolution gar, ist da nicht viel zu spüren, auch wenn die rebellische Pose durchzuscheinen versucht.

[Mir wurde versichert, dass Čákanyovás Erstling „Frem“ deutlich spannender sei.]

Nächstes Jahr dann vielleicht vier Filme.